Eric – 108

Eric – 108

„Lass mich in Ruhe“, knurrte ich, als ich das Hotel hinter mir ließ und die Eindrücke der Stadt auf mich niederdrückten. Der Geruch von Abgasen und Hot Dogs, irgendwo ein Presslufthammer und das Quietschen von Reifen, das viel zu nah war.

„Pass doch auf!“, herrschte mich ein Autofahrer an, weil ich kopflos über die Straße gelaufen war. Die verfluchte Stadt war mir zu laut, zu eng, zu voll.

„Eric!“, hörte ich Chris hinter mir kreischen. Meine Beine reagierten nicht auf sein Mädchengeschrei, sie liefen einfach weiter, so als könnten sie vor dem, was vor mir lag und was sich weit, weit hinter mir befand, einfach davonlaufen.

Der Autofahrer fluchte und obwohl mir der Typ am Arsch vorbei ging, musste ich an Esthers Unfall denken, als ich sie fast verloren hätte. Die Bilder waren wieder in meinem Kopf, die beschissene Dunkelheit, der Regen, das Blaulicht und Esthers lebloser Körper vor mir.

„Eric, nun bleib doch mal stehen!“, schnappte Chris hinter mir und hielt mich plötzlich von hinten am Arm fest.

Ich drehte mich zu ihm und hatte nicht übel Lust, den Mistkerl zu verdreschen. „Hör auf, mir hinterherzurennen.“

„Sehr gerne – wenn du sagst, was los ist.“ Chris baute sich vor mir auf, seine Gesichtszüge waren ungewohnt hart, so wie damals, als er die blauen Flecken auf meinen Armen gesehen hatte. Ich wollte nicht hier mit ihm stehen, er war auch nur ein verdammtest Stück Vergangenheit.

„Lass gut sein“, knurrte ich. „Du musst nicht auf mich aufpassen.“ Ich wollte, dass er es kapiert, ich wollte, dass er sich umdrehte und endlich abhaute. „Verfolg mich nicht weiter, Chris. Oder du wirst es bereuen“, drohte ich, wandte mich von ihm ab und lief die Straße hinunter. Ein Blitz zuckte über den grauen Himmel, und ein beschissener Donner war zu hören. Plötzlich begann es, wie aus Eimer zu schütten, so laut, dass ich Chris beinahe nicht gehört hätte, obwohl er sich die Kehle aus dem Hals schrie.

„Geht es um ihn?!“

Meine Pumpe setzte aus. Für einen beschissenen Moment stand ich einfach nur so da, mein ganzer Körper existierte, und atmete noch, aber ich war wie eingefroren.

„Verdammt, geht es um ihn?!“, schrie Chris noch einmal.

„Wieso? Wieso glaubst du das?“, herrschte ich ihn an und es war mir scheißegal, dass die Leute uns anstarrten, als wären wir soeben aus der Psychiatrie ausgebrochen. Ich lief auf Chris zu, bis wir nur noch eine Handbreite voneinander entfernt standen. „Wieso? Was weißt du?“, zischte ich. Der Alkohol war wie weggeblassen, mein Verstand war klar, viel zu klar für diesen Augenblick.

„Sie hat mir gesagt, dass er nach dir sucht.“

„Wer sie?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon kannte.

„Deine Mutter.“

Der Scheißkerl lebte noch. Er war noch immer am Leben, obwohl er es nicht verdient hatte, obwohl er sich schon längst zu Tode gesoffen haben sollte.

„Sie hat ihn noch nicht getroffen, aber er muss sie angerufen haben, sie war ganz durcheinander, weil er sie nach all den Jahren gefunden hat.“

Die Erinnerungen erdrückten mich mit einer Wucht. Ich taumelte einen Schritt nach hinten, der Regen lief mir übers Gesicht, aber ich spürte seine Kälte nicht. Dafür spürte ich jeden einzelnen Schlag, ich spürte jedes einzelne beschissene Wort, das aus seinem verfluchten Mund gekommen war.

Ich bemerkte Chris’ Hand erst, als es zu spät war. Es war eine freundschaftliche Berührung an der Schulter, nett gemeint, aber es war eine Berührung, die mein Körper nicht aushielt. Im Reflex verpasste ich Chris einen Kinnhaken, so schnell konnte mein Hirn gar nicht schalten. Erst als ich meinen Cousin auf dem Boden liegen sah, mit blutender Nase und entsetztem Gesichtsausdruck, kehrte ich wieder zu mir selbst zurück.

„Sorry“, stammelte ich und hörte mich an wie der Versager, zu dem er mich gemacht hatte. „Ich … ich wollte das nicht.“

Chris wischte sich das Blut von der Lippe und bedeutete einem bulligen Kerl, der ihm zu Hilfe kommen wollte, dass alles okay war. Ich hielt Chris die Hand hin, doch er zögerte einen Moment, bevor er sie annahm. „Scheiße, Eric. Bist du jetzt wenigstens bereit, zu reden?“

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