Eric – 135

Eric – 135

Auf dem ganzen Weg zurück sagte sie kein einziges Wort. Die dunkelgrünen Wälder Kanadas zogen unter uns vorüber, doch ihre Augen waren nur blicklos aus dem Fenster gerichtet. Ich hatte keine Ahnung, was gerade in ihr vorging, aber verdammt, es machte mir eine Scheißangst.

„Wie lange noch, bis wir da sind?“, fragte Esther in diesem Moment.

„Noch ungefähr zwei Stunden“, antwortete ich heiser. Ich wusste nicht, ob ich sie berühren durfte, nachdem ich ihr geraten hatte, das Scheißhandy auszustellen. Aber fuck, ich war froh, dass sie überhaupt noch mit mir sprach.

Esther nickte und verfiel wieder in ihre sprachlose Starre, die mir das Gefühl gab, meilenweit von mir entfernt zu sein.

 

Das Krankenhaus, in das sie ihn gebracht hatten, holte sofort wieder die ganzen beschissenen Gefühle von damals hervor. Es war, als ob die hellgrünen Wände, die unverständlichen Lautsprecherdurchsagen und der ätzende Geruch nach Desinfektionsmittel einen direkten Draht in meine verdammten Erinnerungen herstellen konnten.

Esther im Koma, die quälende Angst um sie und das Baby, der Horror wegen Zoes Krankheit – das alles prasselte innerhalb eines verfickten Atemzuges auf mich ein. Mein ganzer Körper verspannte sich und ich atmete mühevoll ein. Dabei sagte ich mir vor, dass ich jetzt verflucht noch mal stark sein musste. Ich musste für sie da sein, musste ihr das Gefühl geben, das alles gut werden würde, selbst wenn ich im Innersten nicht daran glaubte.

„Wir müssen in den zweiten Stock“, murmelte ich und drückte ein paar Mal auf den Knopf des Aufzugs.

Esther schluckte und starrte zu Boden. „Ich hätte das Handy nicht ausschalten dürfen“, flüsterte sie dann. „Wenn er stirbt, kann ich mir das nie verzeihen.“

Ich griff nach ihrer Hand, doch Esther schien es gar nicht zu bemerken.

Fuck. Hoffentlich überlebte er das. Denn ich war mir nicht sicher, ob sie es mir jemals verzeihen würde.

 

„Esther.“ Bei unserem Anblick sprang ihre Mutter auf. Der kleine Wartebereich mit den grauen Hartplastikstühlen im zweiten Stock war ungefähr zur Hälfte gefüllt. In der Ecke hing ein Fernseher, auf dem die stummen Bilder einer Nachrichtensendung liefen. Ich erhaschte einen Blick auf bewaffnete Soldaten in einem staubigen Land und senkte den Blick. Wenigstens zeigten sie nicht die Bilder von Aron und mir auf dieser Kack-Veranstaltung. Im nächsten Moment fühlte ich mich wie der größte Arsch auf Erden.

„Mama“, presste Esther hervor und schloss ihre verheulte Mutter in die Arme. „Ich hatte mein Handy aus. Es tut mir so leid.“

„Schon gut“, flüsterte ihre Mutter. „Er wird gerade operiert. Du hättest ohnehin nichts tun können.“

„Was haben denn die Ärzte gesagt?“, fragte ich.

Esthers Mutter fuhr sich schniefend über die Augen. „Nicht viel. Wir müssen einfach nur warten.“

Ich atmete tief ein. „Wollt ihr vielleicht was trinken?“

„Nein, danke“, murmelte ihre Mutter, während Esther nur stumm den Kopf schüttelte.

„Okay. Ich hol mir nur schnell einen Kaffee. Bin gleich wieder da.“

 

Als ich vor dem Automaten stand, klingelte mein Handy. Es war Simon. Genervt drückte ich den Anruf weg. Zwei Sekunden später klingelte es erneut.

„Es ist gerade ein wirklich schlechter Zeitpunkt, Simon.“

„Das ist es bei dir doch immer, oder?“ Seine Stimme klang angespannter als sonst, und ich zwang mich, ihn nicht anzublaffen. „Was willst du?“, fragte ich stattdessen.

Simon entfuhr ein hysterisches Lachen. „Nun, abgesehen davon, dass Chrysler überlegt, den Werbedeal wegen eurer Prügelei einzustampfen, habe ich gerade die Mail eines Anwalts bekommen.“

„Was für ein Anwalt?“, fragte ich und drückte den Knopf für einen Espresso.

„Keine Ahnung, ein Anwalt eben“, entgegnete Simon genervt. „Von Sorthys & Clark.“

Bei dem Namen der Anwaltskanzlei erstarrte ich. „Und was will er?“

„Er behauptet, eine Zeile aus Schwarzer Tag sei plagiiert.“

„Was?“, fauchte ich.

„Plagiiert. Gestohlen. Das ist, wenn man den Text von jemand anderem klaut“, erklärte mir Simon, als wäre ich ein Dreijähriger.

„Ich hab den Text von niemandem geklaut“, knurrte ich und musste mich beherrschen, um nicht lauter zu werden.

„Tja. Wie es aussieht, müssen wir das nun vor Gericht beweisen. Denn die Band wurde offiziell verklagt, Eric.“

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