Eric – 139

Eric – 139

Ich war noch immer auf Hundertachtzig, als ich bei der Bar ankam, die Chris für unser Treffen ausgesucht hatte. Die letzten zwei Stunden drehten sich wie in so einem verdammten Kinderkarussell immer wieder durch meine beschissenen Gedanken und ich hätte am liebsten mit der Faust auf irgendetwas eingeschlagen – bevorzugt auf das Gesicht dieses Arschlochs, der uns verklagt hatte – als ich die Tür zu dem abgefuckten Laden aufdrückte.

Bier- und Zigarettengeruch schlugen mir entgegen. Chris saß an einem der hinteren Tische und starrte abwechselnd in sein Glas und auf sein Handy, wobei er sich immer wieder fahrig durch die Haare fuhr. Er sah echt nicht gut aus und für einen Moment vergaß ich das beschissene Anwaltstreffen und bahnte mir meinen Weg zu ihm durch.

Aus einer Jukebox plärrte irgendein schnulziger Oldie. Wenigstens spielten sie keinen von meinen Songs.

„Hey“, sagte ich, als ich bei Chris angelangt war.

Er fuhr leicht zusammen. „Hey“, erwiderte er dann schnell und rang sich ein Lächeln ab. Sein Gesicht wirkte fahl und er hatte etwas abgenommen, obwohl er noch nie viel Fleisch auf den Rippen gehabt hatte.

„Wie geht’s dir, Mann?“ Erschöpft ließ ich mich auf den Stuhl gegenüber von ihm fallen und sah mich nach einer Bedienung um.

„Gut“, antwortete Chris mechanisch.

„Lüg mich nicht an“, sagte ich und bedeutete der Kellnerin, mir das Gleiche zu bringen, was Chris auch hatte. Ich war mir nicht sicher, was es war, aber es schien zumindest was Stärkeres als Bier zu sein.

„Keine Ahnung, wie es mir geht“, murmelte Chris und warf noch einen letzten Blick auf sein Handy, bevor er es schulterzuckend wegsteckte. „Im Job läuft’s gut und ich gehe jede Woche mit Flo zur Therapie …“

„Aber?“, hakte ich nach.

Er presste die Lippen zusammen. „Aber ich bin nicht sicher, ob es das überhaupt wert ist.“

Fuck. Das war schlimmer, als ich angenommen hatte.

„Was ist mit der Bulldogge? Hast du auch schon mal allein mit ihr gesprochen“, fragte ich und kam mir dabei selber wie ein Therapeutenfuzzi vor – aber verdammt, ich hatte gerade auch keine bessere Idee, als meinen Cousin zu ihr zu schicken.

Chris seufzte. „Nicht so richtig. Sie ist der Meinung, dass wir respektable Fortschritte erzielen.“ Er schnaubte abfällig. „Letzte Woche sagte sie zu mir, ich solle meine Wut zulassen. Aber ich hab keinen Bock, wütend zu sein, Eric. Ich will einfach, dass es wieder so wird, wie es vorher war.“ Chris leerte sein Glas und schielte dann auf den Drink, den die Kellnerin mir in dem Moment hinstellte. Ich schob ihm das Glas hin und bestellte dasselbe gleich noch einmal.

„Liebst du sie denn noch?“, fragte ich nach einem Moment.

Fuck, wenn das jemand hier aufnahm, könnte er eine Menge Geld von mir erpressen. Ich klang wie so ein bescheuerter Talkshowmaster, der seine Gäste mit einfühlsamen Blicken und weichgespülten Fragen bombardierte, bis sie ihr ganzes beschissenes Drama vor ihm auskotzten.

„Keine Ahnung“, sagte Chris. „Ich glaube schon. Sonst …“ Er verstummte für einen Augenblick. „Sonst würde es doch nicht so scheiße wehtun, oder?“

„Wahrscheinlich nicht“, sagte ich und stieß mit ihm an, als die Kellnerin den zweiten Drink in Rekordgeschwindigkeit brachte. Sie schien mich erkannt zu haben, hielt aber die Klappe, was ich ihr hoch anrechnete.

„Wie läuft’s bei dir?“, fragte Chris nach einer Pause und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Rechts hinter mir brach am Billardtisch ein Streit aus und ich warf einen Blick über die Schulter, bevor ich antwortete.

„Keine Ahnung“, erwiderte ich dann. „Einerseits ist die Kacke bei uns wegen dieser verdammten Plagiatsgeschichte am Dampfen – und andererseits …“ Ich verstummte. Mann, was war ich nur für ein Idiot. Chris‘ Beziehung ging hier gerade vor die Hunde und ich jammerte wegen einem beschissenen Termin beim Anwalt rum. Und das, obwohl ich in Kürze die verdammt noch mal schönste Frau der Welt vor den Altar führen würde.

„Herzlichen Glückwunsch übrigens.“ Chris’ Stimme hatte einen warmen Unterton bekommen und klang wieder mehr nach ihm selbst. „Bei all dem Chaos konnte ich dir noch gar nicht sagen, wie sehr ich mich für dich und Esther freue, Mann.“

Chris lächelte und ich schluckte, als mir bewusst wurde, dass mein Cousin ein verdammter Heiliger war.

3 thoughts on “Eric – 139

  1. Ich freue mich jedes Mal wenn die Geschichte weitergeht und noch mehr auf den Tag wenn sie fertig ist und man die Story in einem Rutsch durchlesen kann. Wer solche Romane mag, der liebt die Geschichte von Esther und Eric.

    1. Ja! In so einer Situation sich trotzdem noch für andere freuen zu können, ist nicht leicht. Ich wünsche mir so sehr für Flo und Chris, dass sie wieder glücklich ? werden.

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