Eric – 141

Eric – 141

„Darf ich Ihnen schon etwas bringen, Sir? Vielleicht einen Aperitif?“ Der graumelierte Kellner sah mich höflich an. Ich warf einen Blick auf die Uhr und seufzte unterdrückt. Esther war schon mehr als eine Viertelstunde zu spät und die Bediensteten in dem Restaurant rückten mir von Minute zu Minute mehr auf die Pelle.

„Die Weinkarte reicht völlig“, entgegnete ich knapp und machte ein Foto von unserem Tisch mit dem weißen Tischtuch, den gestärkten Stoffservietten, den brennenden Kerzen, den lächerlich vielen silbernen Messerchen und Gäbelchen sowie den funkelnden Gläsern. „Ich bin hier in meiner persönlichen Hölle“, schrieb ich dazu. „Wo bist du? – PS: DU wolltest in ein französisches Restaurant gehen.

Bin gleich da“, textete sie zurück.

Na wenigstens etwas. Ich packte das Handy weg und fegte dabei unabsichtlich ein Messer vom Tisch. Missmutig hob ich es wieder auf und versuchte die neugierigen Blicke ringsum zu ignorieren. Wahrscheinlich gafften sie nur, weil ich ein scheißberühmter Rockstar war – und nicht deshalb, weil die Jungs und ich in den letzten Monaten so gut wie alle Auftritte gecancelt hatten und wir uns stattdessen in einem zähen Rechtsstreit mit einem Typen befanden, der jede Woche mit noch absurderen Forderungen daherkam. Mein Anwalt rieb sich vermutlich die Hände, weil ich zu blöd gewesen war, auf den ersten Deal einzugehen. Inzwischen ging es um wesentlich mehr Kohle, sodass mein Stolz nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. Zumindest war den Medien das Thema irgendwann zu langweilig geworden, um noch weiter darüber zu berichten. Trotzdem hatte unser Image gelitten. Und ich Idiot hatte bei jedem neugierigen Blick das Bedürfnis, diesen Gaffern da draußen entgegenzubrüllen, dass jede verfickte Zeile von Schwarzer Tag verdammt noch mal von mir selbst stammte.

„Sorry für die Verspätung.“ Esther blieb keuchend vor mir stehen und drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor sie sich erschöpft in den Sessel gegenüber fallen ließ. Ich war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie sie mit Jackson das Lokal betreten hatte.

„Kein Ding“, erwiderte ich schnell und rang mir ein Lächeln ab. „Wie war dein erster Tag in der Kanzlei?“

Sie atmete tief ein und suchte einen Moment nach den richtigen Worten. „Interessant“, meinte sie schließlich.

Sofort begannen meine Alarmglocken zu schrillen. Angespannt richtete ich mich auf und sah mich nach Jackson um. Der Typ hatte sich diskret zurückgezogen und dabei wie immer eine so undurchdringliche Miene aufgesetzt, dass ich absolut nichts aus seinem Gesicht lesen konnte.

„Was ist passiert?“, fragte ich, als der graumelierte Kellner heranglitt und sowohl Esther als auch mir eine Karte reichte.

„Gar nichts“, murmelte sie abwehrend und griff nervös nach der Speisekarte.

„Das klang gerade nicht sehr überzeugend.“

Sie atmete hörbar aus. „Es ist nichts, Eric. Ich bin müde, in Ordnung? Das darf ich doch wohl sein, oder?“

Sie war mehr als nur müde, aber ich wusste, dass ich im Moment nichts aus ihr herauskriegen würde. Stumm krallte ich mir die Weinkarte und starrte verärgert auf die Auflistung irgendwelcher französischer Namen. Kurz war ich versucht, einfach die teuerste Flasche zu bestellen, doch bei dem Gedanken an das anstehende Gerichtsverfahren war das vielleicht keine so gute Idee.

„Es tut mir leid“, sagte Esther in diesem Moment und legte die Karte auf den Tisch. Ihre Augen schimmerten unglücklich und sofort war mein ganzer Ärger wie weggeblasen. „Ich bin nicht einfach nur müde. Es war furchtbar.“

Ihr geflüstertes Geständnis führte dazu, dass sich eine monströse Welle schwarzen Hasses in mir auftürmte. Wer auch immer dafür verantwortlich war, dass sie sich so fühlte, ich wollte den- oder diejenigen dafür am liebsten töten.

„Was ist passiert?“, fragte ich dennoch verhältnismäßig ruhig. Der verdammte Kellner versuchte sich schon wieder anzupirschen, doch ich bedachte ihn mit einem dermaßen kalten Blick, dass er auf dem Absatz kehrtmachte.

Esther holte tief Luft. „Meine neugewonnene Berühmtheit ist passiert“, erklärte sie dann. „Denn offenbar bin ich für jeden einzelnen Mitarbeiter von Sorthys & Clark nicht mehr als deine schwangere Freundin.“

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