Eric – 96

Eric – 96

Ich hatte es schon vermutet, als ich ihr das erste Mal begegnet war. Es war nur ein Gefühl gewesen, eines, das ich ganz weit weggeschoben hatte, aber es war da. Es lag an ihrer Gestik, es war ganz klein und für niemanden sonst zu sehen, doch ich hatte es erkannt, ich hatte es befürchtet.

Und die Befürchtung hatte mich immer wieder heimgesucht, sie hatte mich nicht schlafen lassen, war immer wieder aufgetaucht, und so sehr ich sie auch wegdrängte, sie war nicht kleinzukriegen.

Zoe war die Tochter des Arschlochs, den ich meinen Vater nennen musste. Was bedeutete, dass meine Mutter damals nicht wegen eines Typs und einer besseren Welt abgehauen war, nicht wegen ihrer Sorge um sich, sondern wegen der Sorge um ihr ungeborenes Kind.

Das Kind, das schon da war, war ihr egal, es ging um Zoe, der sie ein besseres Leben ermöglichen wollte, und ich war da im Weg. Mich hatte sie zurückgelassen wie ein Paar Schuhe, das einfach nicht mehr passte, sie hatte sich und ihr ungeborenes Kind in eine Zukunft gerettet, und es war ihr scheißegal gewesen, was dann mit mir geschah.

Von drinnen hörte ich Zoe und Esther lachen, die beiden verstanden sich gut. Es war auch nicht schwer, sich mit Esther zu verstehen, und ich wusste, was sie schon bald von mir erwarten würde.

Ich wusste es, ich wusste, dass es das Richtige war, denn Zoe konnte nichts dafür, dass sie von ihrer Mutter gerettet worden war.

Mein Handy klingelte und riss mich aus meinen Gedanken. Es war Noah.

„Mann, du darfst nicht vergessen, dass morgen die Preisverleihung stattfindet“, sagte er und ich hörte an seiner Stimme, wie meganervös er jetzt schon war. Keine Ahnung, warum sie alle wegen dem Preis so ausflippten.

„Was soll das? Ist das jetzt ein Erinnerungsanruf?“, fragte ich knapp.

„Klar“, erklärte Noah. „Du bist der Einzige, der mir seine Teilnahme noch nicht bestätigt hat.“

„Bist du jetzt der verdammte Veranstalter?“, fragte ich und sah der Nacht zu, wie sie sich über die Stadt senkte.

„Nö. Aber seit ich ein kleiner Junge bin, träume ich davon, diesen Preis abzuräumen. Also verkack es nicht. Wir müssen alle da sein.“

„Aber du kriegst den Preis doch auch, wenn ich nicht dabei bin“, erklärte ich müde und rieb mir über die Augen. Die letzten Tage waren so verflucht anstrengend gewesen und ich hatte keinen Bock, morgen auf so einer riesigen Veranstaltung aufzutauchen. Vor allem nicht, nachdem das Foto von Natascha und Esther die Runde gemacht hatte.

„Aber dann ist es doch nicht dasselbe“, maulte Noah und hörte sich langsam angepisst an. „Mann, ich bitte dich echt nicht oft um was, also kannst du morgen …“

„Klar“, sagte ich, bevor er zu flennen anfing. „Ich werde dort sein.“

„Das wollte ich hören“, erwiderte Noah. „Dann bis morgen Abend. Mach dich schick, damit du nicht wie der abgefuckte Arsch aussiehst, der du bist.“

Ich grinste. „Ich versuch’s.“ Dann legten wir auf.

 

„Ihr wollt noch etwas zu essen bestellen?“, fragte ich während mein Blick von Esther zu Zoe wanderte. „Die anderen Hotelgäste haben vielleicht auch Hunger, ihr könnt ihnen doch nicht alles wegfuttern.“

„Natürlich können wir das“, sagte Esther, die neben Zoe auf der Couch saß. „Außerdem essen wir nicht so viel.“

Ich zog belustigt eine Augenbraue hoch und Esther schleuderte ein Kissen in meine Richtung, das mich nur knapp verfehlte.

„Ich wollte dich gar nicht treffen“, sagte sie schnell und Zoe nickte. „Ich habe gesehen, dass sie gar nicht treffen wollte.“

Die beide schienen sich wirklich zu mögen, und ich wusste nicht, ob mir das gefiel.

„Musst du denn nicht irgendwann nach Hause?“, fragte ich Zoe und ging an die Bar, um mir einen Whiskey einzuschenken.

„Es ist Wochenende. Ich habe morgen also keine Schule“, sagte sie, als ob sie es von langer Hand geplant hätte, bei mir aufzukreuzen. „Außerdem sind die Lehrer nachsichtig, wenn man bald stirbt.“

Eine seltsame Stille senkte sich über uns und Esther war die Erste, die reagierte. Sie griff nach Zoes Hand. „So schnell stirbst du nicht“, sagte sie und verdammt, da war ich mir nicht so sicher.

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