Eric – achtzehn

Eric – achtzehn

Der Wind trieb meinen Körper nach vorne, ich schwankte und breitete die Arme aus, vor mir die Dunkelheit und der Fluss und die scheiß Erdanziehung, die an mir zerrte. Panik peitschte durch mich hindurch, Panik und Adrenalin, ich ruderte mit den Armen, während ich langsam nach vorn kippte.

Vor mir war das endlose Nichts, ein gähnender Abgrund, und ich dachte: Scheiße, so kannst du nicht draufgehen und sah wieder die Bulldogge vor mir, die mir erklärte, ich wolle unglücklich sterben. Das alles passierte im Bruchteil einer Sekunde, ich hatte nicht mal Zeit zu atmen, und dann spürte ich einen heftigen Ruck und Joe riss mich von der Brüstung hinunter und dann lag ich da am Rücken auf der Erde und mein Herz pumpte wie verrückt und ich machte nichts anderes, als zu atmen.

Ein und aus, einfach ein und aus.

 

Marco ließ sich neben mich fallen und lachte, während Joe sich einfach nur auf die Straße setzte und gar nichts sagte. Ich lag auf dem Rücken und wartete darauf, dass mein Körper zu zittern aufhörte.

„Was mach ich hier eigentlich“, flüsterte ich, und der Klang meiner eigenen Stimme erschreckte mich, ich musste meine beschissene Klappe halten, aber in meinem Kopf stellte ich mir die Frage noch ein Dutzend mal, was mach ich hier eigentlich, was mach ich hier eigentlich, wasmachichhiereigentlich?

Ich schaute hinauf in den Himmel, schaute hinüber zu Joe, der bleich und teilnahmslos wirkte, dann zu Marco, der sich gerade aufrappelte und zum geklauten Wagen ging.

Ich zog mein Handy aus der Tasche und rief Alex an, damit er die Limousine schickte.

 

Zwanzig Minuten später saß ich in den butterweichen Ledersitzen und sah Marco dabei zu, wie er zu seiner Wohnung wankte, zurück in das Leben, in dem er bald ein verdammter Vater sein würde. Joe war fünf Minuten davor ausgestiegen, und er hatte während der Fahrt kein einziges Wort gesprochen.

„Können wir jetzt reden?“, fragte mich Alex von gegenüber und ich reagierte nicht, ich hatte echt null Bock, mich mit dem Scheißkerl zu unterhalten. Er gab dem Fahrer ein Zeichen und die Limousine setzte sich mit einem sanften Ruck in Bewegung. Alex sah mich einfach nur an, ich spürte seinen Blick wie eine verdammte Lötlampe über meine Haut gleiten, da half es auch nichts, den Kopf wegzudrehen und aus dem Fenster zu sehen.

„Ich mache mir Sorgen um dich, Eric“, setzte er an.

„Komm mir nicht mit der Scheiße“, gab ich zurück.

Alex beugte sich nach vorne. Sogar mitten in der Nacht trug der Typ einen Anzug, wahrscheinlich schlief er in dem verdammten Ding, so wie ein bekackter Vampir.

„Wo warst du die letzten Tage?“

„Geht dich einen Scheiß an.“

„Ich hab ungefähr hundert Mal versucht, dich zu erreichen.“

„Na und?“

„Eric …“ Er machte eine Pause. „Die Umfragewerte sinken“, sagte er dann und fuhr sich durch seine Frisur, die eigentlich meine war. „Die Leute mögen dich noch immer, aber sie mögen dich weniger, als vor drei Monaten.“

„Ich bin nicht Musiker geworden, um einen beschissenen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen“, knurrte ich.

„Natürlich nicht“, sagte Alex und strich über seine glänzenden Manschettenknöpfe. „Es ist nur so …“ Er seufzte. „Hör zu, ich hab mir einfach Gedanken über dein Image gemacht, besonders nach unserem letzten Gespräch. Im Moment finden dich die Jungs noch cool und die Mädels kriegen nasse Höschen. Aber wenn du so weitermachst, bist du …“

„Bin ich was?“, fragte ich hart.

„Du hast ein Alkoholproblem“, entgegnete er ruhig und sah mir dabei in die Augen. „Das macht dich unberechenbar und unprofessionell. Im Moment kannst du es dir noch erlauben, aber irgendwann werden die Leute beginnen, dich dafür zu verurteilen. Ich bin nach wie vor der Meinung, du solltest einen Entzug machen.“

Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Dein Ernst?“

Er beugte sich nach vor. „Hör zu, ich hab mir das genau überlegt. Wir spielen das der Presse zu, es wird aussehen, als ob die Paparazzi davon Wind bekommen hätten. Zuerst machen die ein paar Bilder, wie du mit Sonnenbrille in irgendeiner schicken Reha-Klinik eincheckst – und ein paar Wochen später …“, er hob die Hände und bewegte die Finger, als würde es Geld regnen, „… Katsching. Die große Wandlung.“ Alex leckte sich über die Lippen. „Wir ziehen das ganz groß auf mit Exklusiv-Interview und allem Pipapo. Du wirst sehen, das wird der Renner. Die Leute lieben gefallene Helden.“ Er bewegte die Hand, als würde er die Headline schon vor sich sehen. „Die wahre Geschichte über Eric Adams. Vertrau mir Eric, das wird euch in den Himmel schießen.“ Alex beugte sich enthusiastisch nach vorne. „Du erzählst was über deine schwere Kindheit und wie dich die Sache mit deiner Mutter noch immer fertig macht und ich schwör dir, das wird -“

„Du bist gefeuert“, unterbrach ich ihn.

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