Eric – dreiundvierzig

Eric – dreiundvierzig

Wie sie so da stand und mich anstarrte, konnte ich nur daran denken, wie gern ich sie küssen würde. Aber das war nicht das, was zu ihr passte, sie war kein Mädchen, das auf die große Show stand.

Sie war so ganz anders als alle Frauen, die ich vor ihr kennengelernt hatte. Sie war klug und bescheiden und sie konnte so unglaublich witzig sein, dass ich laut loslachen musste, was mir in den letzten fünf Jahren vielleicht drei Mal passiert war.

Sie war … einfach perfekt.

„Das ist der Moment, wo du verdammt noch Mal ja sagen musst“, flüsterte die kleine Dunkelhaarige Esther ins Ohr und ich musste grinsen, woraufhin die Kleine scheu lächelte und rot wurde.

„Okay“, sagte Esther nach einer kleinen Pause, und ihre Weigerung, einfach Ja zu sagen, brachte mich noch mehr zum Lächeln. Ich mochte ihren Sturkopf.

„Diesmal darfst du aussuchen, was wir machen.“

„Okay“, wiederholte sie, diesmal schon etwas selbstbewusster. Und dann entzog sie mir ihre Hand und es fühlte sich an, als würde der Tag ein bisschen kälter werden.

„Ich hole nur schnell meine Sachen.“

 

Wir fuhren in die Stadt. Diesmal nahmen wir ihren klapprigen Wagen, und es gefiel mir, ihr beim Autofahren zuzusehen. Sie wirkte ruhig, aber konzentriert, und obwohl das Auto die totale Rostlaube war, war es nett.

„Regel Nummer eins, wenn man nicht erkannt werden will“, erklärte sie mir, während sie routiniert den Blinker setzte, „man darf sich keinen schwarzen Porsche kaufen.“

Ich grinste. „Das hat mir Chris auch schon gesagt.“

„Ich mag Chris“, erklärte sie mir, ohne mich anzusehen. „Er scheint ein kluger Kerl zu sein.“

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass sie sich an alles erinnern konnte, was ich ihr erzählt hatte, als sie im Koma lag.

„Und wohin fahren wir jetzt?“, fragte ich und griff hinüber zu ihrer Hand, die gerade den Schaltknüppel bediente. Sie hatte wunderschöne, zarte Finger und ich liebte es, über ihre glatte Haut zu streichen.

Sie atmete tief ein. „Jetzt verkleiden wir uns.“

Ich lachte. „Ernsthaft?“

„Ernsthaft“, bestätigte sie mir mit einem schelmischen Lächeln.

 

Der Kostümladen, in den sie mich kutschierte, war winzig und mit allerhand schrägen Verkleidungen vollgestopft, und etwas in mir hoffte, dass Esther damit den Augenblick am Rummelplatz wieder herholen wollte, als wir uns fast geküsst hatten.

„Was hältst du davon?“, fragte sie und zückte eine hässliche Wolfsmaske, um sie sich vors Gesicht zu halten.

„Warum hast du so große Augen, Großmutter?“, fragte ich und lachte.

„Damit ich dich besser sehen kann“, erwiderte sie mit tiefer Stimme. Es klang echt süß, wie sie den Wolf imitierte.

„Und warum hast du so große Ohren?“, machte ich weiter.

„Damit ich dich besser hören kann.“

„Aha“, sagte ich. „Und warum hast du einen so großen Mund?“

„Damit ich dich besser“, sie stockte für einen kurzen Moment und anscheinend waren ihre Gedanken genau dort, wo sich auch meine befanden, „… fressen kann.“ Sie sagte es ganz schnell und als sie die Maske wieder niederlegte, war eine bezaubernde Röte in ihre Wangen gekrochen. Sie lächelte etwas verlegen.

„Wie wäre es damit?“, fragte ich und zeigte auf eine Darth Vader-Maske, die an der Wand hing.

Esther schüttelte den Kopf. „Wie soll ich dich denn da …“ Sie unterbrach sich.

„Ja?“, fragte ich und machte einen Schritt auf sie zu. „Was wolltest du sagen?“

„Nichts“, versuchte sie sich herauszuwinden und griff nach einem überdimensionalen Brillengestell mit einer langen Hexennase.

„Das kommt nicht in Frage“, erwiderte ich langsam und nahm ihr das Brillengestell wieder aus der Hand. „Wie soll ich dich denn da …“

Sie hielt den Atem an und sah zu mir hoch. Ihre braunen Augen funkelten mich an und ich dachte, dass ich noch nie so etwas Schönes gesehen hätte.

„… küssen“, murmelte ich und senkte meine Lippen auf ihre. Sie schmeckte unglaublich, sie duftete unglaublich, und ich ließ die Brille zurück in den Wühlkorb fallen und vergrub meine Hand in ihrem Haar, um sie noch näher an mich zu ziehen.

Sie seufzte leise und schlang ihre Arme um mich und in diesem Moment setzte mein Denken aus. Ich vergaß alles um mich herum, vergaß die muffigen Kostüme und den ranzigen Boden, es gab nur noch Esther, die sich an mich klammerte und mich küsste, wie ich noch nie geküsst worden war.

Und in diesem Moment wusste ich, fühlte ich, spürte ich, dass ich unwiederbringlich verloren war.

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