Eric – dreizehn

Eric – dreizehn

Jetzt ließ mich die Bulldogge auch noch warten, dabei wollte ich die Stunde einfach nur so schnell wie möglich hinter mich bringen. Das Wartezimmer der Psychotante war genauso scheußlich wie ihr Raum und eine grüne Lampe signalisierte, wann man eintreten durfte. So musste sich die Alte anscheinend weniger bewegen, und als das Licht endlich anging, öffnete ich die dunkle Tür und trat in das Kotzzimmer.

„Mister Adams, schön, dass Sie gekommen sind“, begrüßte sie mich und deutete mir, dass ich mich hinsetzten konnte. Ich knallte mich auf den Stuhl vor ihrem Tisch, während sie sich wieder nicht bewegte, sondern mich nur anstarrte.

„Wir hatten um drei den Termin“, sagte ich und starrte zurück.

Sie blickte auf die Uhr. „Da haben Sie recht, der letzte Termin war etwas schwierig, deswegen musste ich überziehen. Keine Sorge, ich ziehe die fünf Minuten gerne von Ihrer Zeit ab, das müsste Ihnen doch gefallen, oder?“

Ich nickte und blickte auf das düstere Gemälde mit einem Schiff, das im wellengepeitschten Meer versank und neben ihrem Schreibtisch hing. Das Bild war echt abgefahren wie ein zerstörerischer Song.

„Wollen wir uns gleich anstarren oder noch ein bisschen plaudern?“, fragte sie, ohne eine Antwort abzuwarten. „Wie geht es Ihnen?“

„Alles easy“, antwortete ich und legte den Kopf in den Nacken. Selbst die Decke war kotzgelb, der Maler hatte sie doch nicht alle gehabt.

„Das freut mich zu hören“, sagte sie. „Ich habe Sie übrigens im Radio gehört.“

„Welchen Song?“

Ich sah sie an, während sie mich wieder mit ihrem Starrblick taxierte. „Es war kein Song, es war ein Interview, das sehr interessant war, nicht wahr?“

Ich grinste. „Ach, das Interview. Ja, das war interessant“, wiederholte ich zynisch.

Die Bulldogge stand auf und stellte sich neben das Bild mit dem sinkenden Schiff. „Das Gemälde habe ich von einem Patienten.“

„Bevor er sich umgebracht hat?“, fragte ich.

Das erste Mal sah ich sie lächeln, es war ein Lächeln, das ihre Augen tatsächlich erreichte, und ich fragte mich, ob diese Psychotanten nicht alle einen Schuss hatten und wieso sie gerade das jetzt lustig fand.

„Er hat sich nicht umgebracht“, begann sie zu erzählen, „er kam einige Jahre regelmäßig zu mir und hat sich danach deutlich besser gefühlt. Wir hatten die Therapie erfolgreich beendet.“ Sie machte eine kurze Pause. „Mein Patient hatte eine schlimme Kindheit und ein paar schreckliche Erlebnisse, die er lange Zeit verdrängt hatte. Und dann begann er zu malen und fand dort die Kraft, sich mit den Themen seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen.“

„Wieso erzählen Sie mir das?“

„Weil er gestorben ist.“

Ich runzelte die Stirn. „Soll mich das etwa aufheitern?“

„Wollen Sie denn, dass ich Sie aufheitere?“

„Wollen Sie denn, dass ich will, dass Sie mich aufheitern?“ Das scheiß Spiel konnte ich auch durchziehen.

Sie schüttelte nur den Kopf. „Er war glücklich, hatte alles erreicht und dann wurde er vom Auto überfahren.“

„Dumme Sache“, sagte ich nur. Das würden noch lange vierzig Minuten werden, verdammt lange.

„Ja, aber er war dennoch glücklich“, entgegnete sie.

„Zumindest, bevor er überfahren wurde“, sagte ich trocken, aber die Alte kriegte es nicht mit.

Fast zärtlich strich sie über den goldenen Rahmen und drehte sich dann abrupt zu mir um. „Mein Patient ist seinen Rucksack losgeworden, den Rucksack, den jeder mit sich herumschleppt. Der eine Rucksack ist größer“, sie starrte mich schon wieder so seltsam an, „der andere ist kleiner – und der von meinem Klienten war riesig. Aber er hat ihn abgelegt.“

„Damit ihn das Auto überfahren kann?“, fragte ich. Der Zynismus war nicht zu überhören, natürlich hörte sie ihn, aber sie ignorierte es, die Frau war echt resistent.

„Er hat seinen Rucksack einfach abgelegt“, wiederholte sie, als wäre das die tiefe Botschaft, als könnte der Satz irgendetwas bewirken.

„Was bringt ihm der Scheiß, wenn er jetzt tot ist?“

Sie lächelte knapp. „Nichts, da haben Sie recht. Es bringt nur etwas, bevor man tot ist. Aus dem Grund ist er auch glücklich gestorben, aber das wollen Sie ja nicht.“

„Stimmt“, sagte ich und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Ich will überhaupt nicht abkratzen.“

„Mmmmh“, machte die Bulldogge und schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht, dass das stimmt. Ich denke, Sie wollen nicht glücklich sterben, Sie wollen unglücklich sterben.“

„Ich will was?“

Sie ging wieder zu ihrem Tisch und setzte sich. „Jetzt tun Sie nicht so, als würde Sie das überraschen. Wenn die Leute durch meine Tür kommen“, die Bulldogge machte eine kurze Pause, „sehe ich sofort ihren Rucksack. Ihrer ist ziemlich groß und ich tippe mal, dass sich Ihr Vater darin befindet?“, fragte sie beiläufig, während ich sie nur anstarrte.

One thought on “Eric – dreizehn

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back To Top