Eric – sechs

Eric – sechs

Auf das erste Blitzlicht folgte ein zweites und dann drängten sich schon zwei Tussis auf mich zu. „Hey, bist du nicht dieser Typ?“, hörte ich die quäkende Stimme der einen und hätte mich am liebsten umgedreht und wäre wieder gegangen. Doch als ich in Chris’ unbehagliches Gesicht sah, ließ ich es bleiben.

Ohne auf die Frage einzugehen, ging ich zu dem Tisch und setzte mich. Ein paar Leute reckten die Hälse in unsere Richtung, aber ich beachtete sie nicht weiter und griff nach der Speisekarte.

„Du bist doch dieser Sänger … von dieser Band …“, beharrte die eine Tussi und fummelte in ihrer Handtasche herum. „Kann ich ein Autogramm haben?“

„Sie will ein Autogramm von dir“, sagte ich an Chris gewandt, während ich zu den Spirituosen blätterte. Ich brauchte jetzt Schnaps, vielleicht konnte ich so viel davon ex kippen, dass ich es lustig fand.

„Von mir?“, fragte mein Cousin überrascht und ich warf ihm über den Rand der Speisekarte hinweg einen knappen Blick zu. „Natürlich von dir. Jetzt sei mal nicht so bescheiden. – Er kann den Rummel einfach nicht leiden“, murmelte ich in Richtung der beiden Mädels und schüttelte den Kopf. „Habt ihr nen Stift?“

„Ich – äh“, stotterte die Erste und ich nahm ihr kurzerhand den Kugelschreiber aus der Hand und reichte ihn an Chris weiter.

„Wie heißt du?“, fragte ich sie.

„Laura“, stammelte sie, während ihr Blick zwischen Chris und mir hin und her flackerte. Ich konnte regelrecht sehen, wie es in ihrem Hirn arbeitete.

Ich schob Chris meine Serviette hin. Er warf mir einen tödlichen Blick zu und kritzelte „Für Laura von Chris“ auf die Serviette. Bei seinem angepissten Gesichtsausdruck musste ich ein Grinsen unterdrücken.

„Bitteschön“, sagte ich zu den beiden. „Genießt den Abend.“ Unsicher nahm die eine Chris’ Serviette entgegen, sah mich ein letztes Mal an und stöckelte gemeinsam mit ihrer Freundin zu ihrem Platz zurück.

„Hey Mann, war das wirklich notwendig?“, zischte mir mein Cousin zu.

„Bleib locker“, murmelte ich. „War doch nur eine beschissene Serviette mit einem beschissenen Namen darauf.“

„Dir geht irgendwie alles am Arsch vorbei, nicht wahr?“, fragte Chris und ich hörte den bekannten Vorwurf aus seiner Stimme.

„Zickst du mich jetzt an, weil ich hier keinen auf Rockstar gemacht habe?“, fragte ich verblüfft. Ein Kellner kam vorbei und ich bestellte einen doppelten Wodka, während Chris ein Bier nahm. Mich wunderte, dass er sich keine Apfelschorle bringen ließ.

„Ich hab einfach das Gefühl, dich gar nicht mehr zu kennen“, sagte Chris nach einer Weile und rieb sich die Nasenwurzel. „In der Zeitung schreiben sie ständig total kaputtes Zeug über dich und ich hab keine Ahnung, was ich davon halten soll.“

„In der Zeitung schreiben sie doch über jeden nur Scheiße“, murrte ich.

„Stimmt es, dass du mit diesem Supermodel … wie hieß sie nochmal? … Mit dieser Russin schlussgemacht hast?“

Ich seufzte. „Ist das wichtig, Chris?“

„Also hast du.“

„Keine Ahnung. Wusste gar nicht, dass wir zusammen waren.“ Der Kellner brachte die Getränke und ich leerte mein Glas in einem Zug.

„Aber du weißt, dass wir jetzt, in dem Moment, hier sitzen, oder? Oder hast du dich schon so weit weggeknallt, dass dir das alles hier wie ein Traum erscheint, damit du nicht darüber nachdenken musst, so wie über deine Mutter, die gerade im Krankenhaus liegt?“, fragte Chris bitter.

„Echt jetzt?“, fuhr ich ihn an. „Du schleppst mich in dieses scheiß Lokal und kommst mir dann mit meiner Mutter? Das muss ich mir nicht geben.“ Ich warf mir eine Schmerztablette ein, spülte sie mit einem Schluck von seinem Bier runter und stand auf. „Ruf in Zukunft wen anderen an, wenn du wieder den Moralapostel raushängen lassen willst.“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging.

„Eric“, rief mir Chris halblaut hinterher, bevor er mir nachkam. „Hey, mach keinen Scheiß.“ Er fasste mich an der Schulter an.

„Mach du keinen Scheiß!“, fuckte ich ihn an und stieß seine Hand fort.

„Du kannst so nicht fahren. Ich bring dich nach Hause“, sagte Chris und griff nach meinem Autoschlüssel.

„Hast du die scheiß Karre bezahlt oder ich?“, fauchte ich und rempelte ihn hart mit der Schulter an, bevor ich mit langen Schritten zu meinem Wagen ging.

 

Mir war schwindlig, als ich die Autotür hinter mir zuschlug. Normalerweise liebte ich den satten Ton, mit dem sie ins Schloss fiel, aber heute hatte ich keinen Nerv dafür. Noch weniger Nerv hatte ich für Chris, der mir hinterherkam und ungeachtet des immer stärker werdenden Regens gegen die Fensterscheibe hämmerte.

Seine Lippen bewegten sich wie die von einem Fisch, aber ich wollte es nicht hören. Ohne mich anzuschnallen steckte ich den Schlüssel ins Loch und drehte ihn herum. Der Motor sprang an, ich stieg aufs Gas und raste davon.

Mein Kopf fühlte sich dumpf an, und ich verfluchte mich dafür, nicht einfach im Bett geblieben zu sein. Chris würde sich nie ändern, er mit seiner scheiß Beharrlichkeit und dem Weltverbesserungstrip. Mein Magen rumorte und im Radio spielten sie einen meiner Songs, ich hörte meine verdammte Stimme, die von der scheiß Liebe sang, die vom Gehen und Kommen und vom Verlassenwerden sang. Ein bitterer Laut kam aus meiner Kehle und ich redete mir ein, dass es ein Lachen war, ein Lachen, weil ich doch alles hatte, was man zum Glücklichsein brauchte.

Die Straße war nass, ich blinzelte, dann war da plötzlich diese Kurve, wie aus dem Nichts kam diese scheiß Kurve, sie war einfach da.

Ich stieg hektisch auf die Bremse und verriss das Lenkrad, das Heck brach aus, der Wagen kam ins Schleudern, ich hatte keine Kontrolle mehr und fuck, dann war da auch noch dieser beschissene Baum, der sich nicht zur Seite bewegte.

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