Eric – zweiunddreißig

Eric – zweiunddreißig

Chris lag einfach so da, wahrscheinlich würde er auch nicht anders aussehen, wenn er tot wäre. Seine Augen waren geschlossen und der Herzschlag auf dem Überwachungsmonitor ging regelmäßig, noch. Sein Kopf war bandagiert und unter dem Krankenhaushemd, das er trug, konnte ich die Verbände sehen und die Schläuche, die aus seinem Körper ragten.

Ich schluckte.

Zur Beerdigung seiner Eltern war ich nicht aufgetaucht, ich hatte ihn alleine trauern lassen, hatte nach der Zeit im Heim die Nase voll von allem Alten, ich wollte weg, wollte nur noch Neu und nichts mehr mit ihnen zu tun haben.

Seine Eltern waren hilflos gewesen und dafür hatte ich sie verachtet, sie waren gut zu Chris, aber sie scherten sich einen Dreck um mich, sie hatten zu viel Schiss vor dem Alten und machten die Augen zu. Und dann, als sie für immer die Augen zugemacht hatten, hatte ich keinen Bock, ihnen dabei auch noch zuzusehen, das hatte ich schon zu oft gesehen.

 

Ich schob den Stuhl näher zu Chris’ Bett und starrte ihn an. Die Starrspiele hatte ich schon als Kind gewonnen und jetzt betete ich, einfach zu verlieren, ich betete dafür, dass er einfach die Augen aufmachte und mich belehrte, dass er mir sagte, was für ein abgefuckter Scheißkerl ich war.

Ich wollte seine ganzen Anschuldigungen hören, verdammt, er hätte auch über meine Mutter sprechen können, es war mir egal, Hauptsache, er sagte überhaupt wieder was.

„Mister Adams“, begann die kleine Krankenschwester mit den dunklen Locken, „gehen Sie doch nach Hause. Es kann noch Stunden dauern, bis ihr Cousin wieder aufwacht. Wir rufen Sie an, falls sich an seinem Zustand etwas ändert.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich bleibe“, sagte ich automatisch weil es für mich keine andere Option gab. Ich würde hier sitzen bleiben, bis der Typ endlich zurückstarren würde, bis er endlich den scheiß Starr-Contest klarmachen würde.

Die kleine Krankenschwester nickte und brachte mir eine Decke. „Wollen Sie vielleicht auch ein Kissen? Ich kann ihnen gerne eines bringen. Dann haben Sie es etwas bequemer.“ Der verdammte Regen prasselte noch immer gegen das Fenster und ich schüttelte wieder den Kopf, ich wollte es nicht bequem haben, während mein Cousin hier mit dem Leben rang. Und dann saß ich einfach nur da, ich konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, die Krankenschwestern kamen und gingen, die Ärzte murmelten immer dasselbe von der beschissenen Geduld und dem bescheuerten Hoffen, während ich einfach nur dasaß und starrte und er endlich seine Augen öffnete.

„Hey Chris“, sagte ich und fühlte ein unglaubliches Gefühl, ein Gefühl besser als jeder Trip.

„Hey Eric“, murmelte Chris und sah sich unsicher um. „Sieht deine Suite jetzt so scheiße aus oder bin ich im Krankenhaus?“

„Du bist im Krankenhaus“, erklärte ich, „du bist auf der Straße von einem Motorradfahrer angefahren worden.“

Er blinzelte. „Die Straße … es war nass. Ich kann mich an das Licht erinnern und die Geräusche. Wie … wie geht es ihm?“

Ich schüttelte den Kopf. „Er hat es nicht geschafft.“

„Scheiße, Mann“, sagte Chris mit krächzender Stimme und dann holte ich die Ärzte und als sie sagten, dass nun das Schlimmste überstanden war, schwappte eine Welle der Erleichterung über mich hinweg.

 

„Du siehst scheiße aus“, sagte Chris. „Hast du gar nicht gepennt?“

„Doch. Ich sehe einfach nur scheiße aus“, entgegnete ich und entlockte Chris ein kleines Lächeln.

„Gut, dass du es geschafft hast“, sagte ich und schluckte.

„Hey Mann, jetzt werd mal nicht so freundlich, das ist nicht gut fürs Image“, sagte Chris.

„Keine Sorge, das passiert schon nicht“, antwortete ich und grinste.

„Stimmt. So schnell geht das auch nicht“, meinte Chris und sah mich an. Er wirkte schwach. „Aber du verträgst eine Dusche.“ Er machte eine kurze Pause. „Wenn du heute feiern gehst, dann feiere bitte für mich mit.“

„Mir ist gerade nicht nach feiern zumute.“

Chris zog die Augenbrauen zusammen. „Hey, du hast gerade deinen Lieblingscousin behalten. Das ist doch ein Grund zum Feiern … oder was willst du jetzt machen?“

„Einfach nur hier sitzen“, sagte ich und streckte die Beine aus.

„Und mich weiter anstarren?“, fragte Chris.

„Genau.“

6 thoughts on “Eric – zweiunddreißig

  1. …oh wie cool ist diese Story. Man bangt, man hofft, man be- oder verurteilet und so nach und nach wird mir klar, wie viel tiefgreifender ihr den Charakter und die Lebensgeschichte von Ben gestaltet habt. Manchmal möchte ich ihn rütteln und anschreien und ganz oft einfach nur festhalten und trösten…(weiter so)….

  2. Ich finde es sehr toll, wie ihr Eric/Ben beschreibt. Denn einerseits ist er wirklich ziemlich Bad-Boy, andererseits tauchen jetzt aber auch sendible Gefühle auf.
    Weiter so!!!!!!!!!!!

  3. Ich finde es sehr toll, wie ihr Eric/Ben beschreibt. Denn einerseits ist er wirklich ziemlich Bad-Boy, andererseits tauchen jetzt aber auch sensible Gefühle auf.
    Weiter so!!!!!!!!!!!

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