Esther – 102

Esther – 102

Mein ganzer Körper versteifte sich, als ich den Namen Melissa Donaway hörte, und ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst. Da ich das aber nicht konnte – und Eric auch nach wie vor meine Hand festhielt – straffte ich stattdessen die Schultern und versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dabei bemühte ich mich, Melissa Donaways Artikel in der GlamSociety! weit von mir zu schieben. Auch wenn diese Frau dachte, dass Natascha die bessere Wahl für Eric gewesen wäre, so war das nicht ihre Entscheidung.

„Eric, zuerst einmal Gratulation zu acht Nominierungen, zwei davon sogar in ein und derselben Kategorie. Wie fühlen Sie sich, das muss Sie ja wahnsinnig stolz machen!“ Sie strahlte ihn an und er nickte nur knapp, während sein Blick kurz über den roten Teppich scannte. Dabei war ihm anzusehen, wie sehr ihn diese Art von Fragen nervte.

„Nun, ich drücke Ihnen jedenfalls die Daumen, als Vorsitzende des Eric Adams FAN-tastic Fanclubs hab ich natürlich in allen Kategorien für Sie gestimmt“, flötete sie lächelnd und fuhr sich durch die dunkelroten Haare, bevor sie ihren Körper ein wenig in meine Richtung drehte. „Aber nun zu etwas Anderem, verraten Sie uns, mit wem Sie heute auf dem roten Teppich erschienen sind?“, fragte sie weiter und strahlte mich an, als ob ich ebenfalls ein russisches Unterwäschemodel wäre.

„Mit meiner Freundin“, erwiderte Eric knapp und ich begegnete dem Blick der Journalistin, die offenbar keine Ahnung hatte, dass ich die Frau war, für die sie extra eine Online-Abstimmung eingerichtet hatten, denn ihr Lächeln verrutschte keinen Millimeter.

„Ich muss Ihnen ein Kompliment machen“, erklärte sie mir nun, „Sie sehen absolut umwerfend aus. Verraten Sie mir Ihren Namen?“

„Nun, ich bin jedenfalls nicht seine Cousine“, gab ich mit einem knappen Lächeln zurück und sah, wie Melissa Donaway irritiert die Stirn runzelte. Einen Augenblick später klappte ihr der Unterkiefer runter als sie in mir das einfache und unscheinbare Mädchen erkannte, das sie laut eigener Aussage auf der Straße wahrscheinlich nicht einmal bemerken würde.

„Lass uns gehen und die Tussi vergessen“, sagte Eric nun zu mir und legte mir sanft die Hand auf die Taille, bevor er mich von der Reporterin wegzog, die mich noch immer sprachlos anglotzte.

Unterwegs trafen wir noch auf mehr Menschen, die Eric um ein Interview baten und das Blitzlichtgewitter schien gar nicht mehr abreißen zu wollen. Mit jedem Schritt, den ich machte, hatte ich mehr das Gefühl, mich in einem Traum oder einer verrückten Fernsehshow zu befinden. All die Fotografen, die Berichterstatter und die brüllenden Fans waren so surreal, dass ich kaum fassen konnte, dass es sich dabei um das echte Leben handelte. Wenn auch in einer verzerrten und aufpolierten Wirklichkeit, in der mich ein wenig Make-up und ein teures Kleid so sehr verwandelt hatten, dass mich nicht mal mehr die Frau erkannte, die mein Aussehen vorher noch verrissen hatte.

 

Als wir endlich die breiten Eingangstore des National Music Theatres passiert hatten, spürte ich zum ersten Mal, wie ich mich langsam entspannte.

Hier drin war es angenehm kühl und wesentlich ruhiger, während draußen noch immer die Hölle los war.

„Ich seh mal nach, wo die Jungs sind“, sagte Eric und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe, bevor er sein Handy aus der Tasche zog und rasch etwas eintippte.

„Eric Adams? Hier entlang, Sie werden schon erwartet“, sprach uns im nächsten Moment ein freundlicher Platzanweiser an und führte uns in eine gigantische schwarze Halle, deren komplette Decke mit so viel Bühnentechnik ausgestattet war, wie ich es bisher nur aus dem Fernsehen kannte. „Alle Nominierten sitzen an Tischen in den vordersten Reihen“, erklärte der freundliche Typ und lächelte einnehmend.

Eric nickte und warf mir dann einen besorgten Seitenblick zu, als ich kurz meine Hand auf den Magen legte.

„Wo ist denn hier die Toilette?“, fragte ich zur Sicherheit und hoffte, dass mein Kreislauf nicht schlappmachte, da mir gerade noch etwas schwindelig geworden war.

„Eine der WC-Anlagen befindet sich auf der linken Seite der Halle, ganz in der Nähe von Ihren Plätzen“, erklärte der Typ freundlich und zwinkerte mir zu. „Kann verstehen, wenn Sie nervös sind, das wäre ich an Ihrer Stelle auch.“

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