Esther – 112

Esther – 112

„Und, wie fühlen Sie sich?“, fragte die rothaarige Ärztin, die wahrscheinlich zehn Jahre älter war als ich. Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich mich miserabel fühlte, weil ich noch immer hoffte, dass die Tür aufging und Eric endlich vor mir stand.

„Gut. Es geht mir gut.“

„Plagt Sie die Schwangerschaftsübelkeit?“

Ich nickte. „Ein wenig.“ Tatsächlich war es mir noch immer peinlich, dass Eric meine Würgegeräusche durch die Tür gehört haben musste.

„Das ist ganz normal, die Übelkeit gibt sich für gewöhnlich nach der zwölften Schwangerschaftswoche.“

Sie lächelte mich an und ich lächelte zurück, obwohl mir gar nicht nach lächeln zumute war. Wahrscheinlich hatte die Ärztin schon viele Frauen mit diesem falschen Lächeln in ihrer modernen Praxis gesehen, wahrscheinlich hatte sie aber auch viele mit einem echten Lächeln erlebt.

„Gut. Sie sollten nun auf Ihre Ernährung achten, rauchen Sie?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist Alkohol während der Schwangerschaft auch verboten, genauso wie rohes Fleisch.“

„Das habe ich gelesen.“

„Sehr gut“, sagte die Ärztin und legte ihre Hände auf dem modernen Glastisch ab. „Sie haben sich bereits informiert. Sie sollten nun auch Folsäure einnehmen, ich schreibe Ihnen ein geeignetes Präparat auf.“

„Danke“, sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte.

„Dann würde ich Ihnen noch gerne etwas Blut abnehmen und bräuchte eine Urinprobe, aber zuvor werde ich noch einen Ultraschall durchführen und einen Abstrich machen, um auszuschließen, dass irgendwelche Infektionen vorliegen.“

Ich nickte schon wieder automatisch und spürte, wie die Aufregung in mir anstieg.

„Und Sie können feststellen, ob es dem Baby gut geht?“, fragte ich.

Die Frauenärztin betrachtete mich aus ihren klugen Augen. „Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich mir ansehen, ob sich die Schwangerschaft zeitgerecht entwickelt – wollen wir gleich loslegen?“

 

„Ich würde Sie gern in einer Woche wiedersehen“, erklärte die Ärztin, nachdem sie alle Untersuchungen abgeschlossen hatte.

„Warum schon in einer Woche? Ist das üblich?“

„Ich konnte heute die Herztöne des Babys nicht hören. Das ist in diesem frühen Stadium der Schwangerschaft nicht unüblich. Deswegen hören wir uns die Herztöne nächste Woche noch einmal an.“

Die Frauenärztin strahlte mit ihrem weißen Kittel und den weißen Zähnen absolute Zuversicht aus, doch diese Zuversicht erreichte mich irgendwie nicht.

„Es ist wirklich nicht unüblich“, wiederholte sie noch einmal. „Machen Sie sich keine Sorgen.“

„Ich versuche es“, erwiderte ich, verabschiedete mich und ging hinaus zum Tresen der beiden Sprechstundenhilfen, vor dem schon ein paar Leute standen. Vor mir befand sich ein Pärchen. Der Mann hatte liebevoll den Arm um die Frau gelegt und mir zog sich beim Anblick der beiden das Herz zusammen.

Ich wollte nicht schon wieder auf mein Handy starren und mir einbilden, dass irgendetwas mit Eric passiert sein musste, dass es eine ganz einfache Erklärung dafür gab, warum er heute nicht aufgetaucht war.

In dem Moment vibrierte mein Telefon und ich spürte, wie mein Puls nach oben schoss. Doch es war nicht Eric, sondern meine Mutter, die anrief.

„Hi Mum, kann ich dich später anrufen?“

„Warum flüsterst du, Schätzchen? Bist du in der Uni?“

„Nein, ich bin beim Arzt“, flüsterte ich zurück und bereute schon jetzt, rangegangen zu sein. Denn ich war kurz davor, loszuheulen, weil mich Eric sitzengelassen hatte.

„Oje. Hoffentlich nichts Schlimmes?“, fragte sie und ich presste die Lippen aufeinander. Meine Mutter wusste noch nichts von der Schwangerschaft.

„Nein, alles okay“, log ich und versuchte ein Lächeln in meine Stimme zu legen, genau das gleiche Lächeln, das ich auch vorhin bei der Ärztin benutzt hatte.

„Das hört sich aber nicht nach okay an“, sagte meine Mutter.

„Doch, aber ich muss jetzt wirklich auflegen“, sagte ich, als in dem Moment die Tür der Praxis aufging, und Eric vor mir stand.

5 thoughts on “Esther – 112

  1. Ha! ? Er ist doch da!
    Oh, ich denke nur weiter: wenn sie das Baby bekommen, wird das Kind später ohne Eltern aufwachsen. Oder? Ich bin wirklich gespannt, was noch alles passiert. Hoffentlich wird nicht dolle traurig.

  2. Ja…?er war wenigstens da….bin ich doch leicht happy?…gut für die beiden, und nächstes Mal ist Eric gefälligst gaaanz dabei..
    ?? freu mich auf Freitag!!

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