Esther – 119

Esther – 119

„Erzählst du mir jetzt, was passiert ist?“, fragte ich Zoe, als wir beide auf dem Sofa in Erics Suite saßen. Meine Eltern hatte ich endlich dazu bringen können, in ihr eigenes Hotel zu fahren, während Eric noch immer verschwunden blieb. Nachdem Zoe ihn im Restaurant so angeschrien hatte, war er einfach abgehauen und obwohl ein Teil von mir natürlich verstand, dass ihr Konflikt alte Wunden aufriss, wisperte eine lästige kleine Stimme, ob er in Zukunft vielleicht auch irgendwann verschwinden würde, wenn es schwierig wurde.

Ich wollte diese Gedanken nicht haben, aber sie kamen einfach zu mir – vielleicht auch deshalb, weil meine Eltern wesentlich erschrockener auf die Nachricht meiner Schwangerschaft reagiert hatten, als ich gehofft hatte.

„Ich will nicht darüber reden“, schniefte Zoe und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.

„Das hat im Restaurant aber noch anders ausgesehen“, sagte ich ruhig und reichte ihr ein Taschentuch.

Sie zögerte einen Moment, bevor sie es schließlich annahm.

„Ich habe mit Ma telefoniert“, sagte sie dann leise und blickte zu Boden. „Sie hat mir erzählt, dass mein leiblicher Vater hier war, um nach mir zu suchen. Und Eric …“ Zoe atmete zitternd ein. „Eric hat ihn einfach fortgeschickt.“

Schweigend griff ich nach Zoes Hand. Ich wollte nichts sagen, so lange ich nicht Erics Seite der Geschichte kannte, aber es war offensichtlich, dass seine kleine Schwester litt.

„Ich weiß, dass Eric sich einredet, seine Spezialistin könnte mir helfen“, flüsterte Zoe und eine Träne tropfte auf ihre Röhrenjeans. „Aber das kann sie nicht. Glaub mir, es ist ganz egal, wie viele Tests sie mit mir macht. Ich hab das alles schon erlebt. Am Ende zählt ja doch nur ein passender Spender.“

„Und du bist dir sicher, dass dein leiblicher Vater bei Eric war?“, fragte ich und hoffte, dass sie mir mein Nachhaken nicht übelnahm.

Zoe zog die Knie an die Brust und nickte. „Ja, er war da. Nachdem Eric ihn beschimpft hat, hat er meine Mutter angerufen. Ich weiß nicht, was in der Vergangenheit passiert ist, aber er scheint mir wirklich helfen zu wollen.“

„Ich rede mit Eric“, sagte ich und drückte Zoes Hand. Ihre Finger waren beängstigend dünn und ihre Haut ganz durchscheinend. „Sobald er wieder zurückkommt, spreche ich mit ihm.“

Zoe schnaubte leise. „Du meinst, falls er wieder zurückkommt“, sagte sie bitter und lehnte sich auf dem schwarzen Ledersofa zurück.

„Versuch, ein wenig zu schlafen“, erwiderte ich und stand auf. Dabei schwappte wieder eine Welle der Übelkeit über mich hinweg, aber ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen. „Und putz dir die Zähne, bevor du ins Bett gehst.“

Ja, Mum“, sagte Zoe und rollte mit den Augen. Trotzdem stand sie einen Moment später auf und ging ins Bad. Ich wartete, bis ich das Wasser rauschen hörte, bevor ich hinaus auf die Terrasse trat. Der beleuchtete Pool lag spiegelglatt vor mir und ich wünschte mir für einen Moment, dass mein Leben auch wieder so ordentlich und aufgeräumt sein könnte. Stattdessen erwartete ich ein Kind von einem Mann, dessen kleine Schwester um ihr Leben kämpfte.

Mit Tränen in den Augen trat ich an die Brüstung der Terrasse. Ganz egal, was in seiner Vergangenheit passiert war, es rechtfertigte nicht, den Mann wegzuschicken, der womöglich ein passender Spender sein konnte.

In diesem Moment hörte ich das Klicken der Schlüsselkarte in meinem Rücken. Langsam drehte ich mich um und sah durch die offene Terrassentür Eric die Suite betreten. Er knallte die Karte auf einen gläsernen Tisch und fuhr sich durch die schwarzen Haare, aber entgegen meiner Befürchtung wirkte er nicht betrunken.

Nur unglaublich erschöpft. Seine blauen Augen glitten fahrig über die Einrichtung der Suite und irgendwie schien ihn alles um ihn herum anzuwidern. Vielleicht war es paranoid, aber plötzlich fragte ich mich, ob ihn das Leben mit mir und einem brüllenden Baby auch irgendwann anwidern würde, als eine neue Welle der Übelkeit durch meinen Körper raste und kurz darauf ein unerwarteter Schmerz in meinem Unterbauch explodierte.

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