Esther – 126

Esther – 126

„Flo? Bist du da?“, rief ich am nächsten Tag und hämmerte gegen die Tür ihrer Wohnung. „Flo!“

„Ich komme ja schon“, hörte ich endlich ihre klägliche Stimme, bevor sich schlurfende Schritte näherten und einen Augenblick später die Tür aufschwang.

„Oh nein“, flüsterte ich bei ihrem Anblick.

Flos rotblonde Locken standen ihr wüst vom Kopf ab, das Make-up von letzter Nacht war total verlaufen und ihre Nase vom Weinen so gerötet, dass sie mir richtig entgegenstrahlte.

„Was ist passiert?“, fragte ich und machte ungefragt einen Schritt in ihre Wohnung. Gestern hatte ich sie nicht mehr auf dem Handy erreicht, weshalb ich in der Früh beschlossen hatte, direkt zu ihr zu fahren.

„Ich bin ja so eine Idiotin“, schluchzte Flo und presste sich die Hand gegen die zitternden Lippen. Dabei strömten Tränen aus ihren Augen und ich nahm sie spontan in den Arm.

„Das bist du nicht. Sag mir einfach nur, was passiert ist.“

Sie hielt sich zitternd an mir fest. „Ich hab mit Aron geschlafen“, platzte es im nächsten Moment aus ihr heraus.

Für einen Moment schloss ich die Augen. „Mit Aron aus Erics Band?“

Sie nickte heftig. „Ich war … so verdammt betrunken“, schluchzte sie dann in den Stoff meiner Jacke. „Ich wollte das nicht, ich liebe doch Chris!“

„Weiß er schon davon?“, fragte ich, während Flo sich schniefend abwandte und den Kopf schüttelte.

„Ich kann es ihm nicht sagen. Ich will ihn nicht so enttäuschen.“ Sie stolperte in die Küche und riss dort ein Stück Küchenrolle ab, in das sie sich hineinschnäuzte. Dann ließ sie sich auf einen Stuhl fallen. „Ich hab es verbockt, Esther.“

„Du hast einen Fehler gemacht“, stimmte ich ihr zu. „Aber das heißt nicht, dass Chris dir nicht verzeihen würde.“

Flo starrte mich aus rotgeränderten Augen an und lachte bitter auf. „Meinst du das ernst? Soll ich am Tag unserer Hochzeit zu ihm gehen und sagen: Hör zu, bevor wir heiraten, wollte ich dir nur noch sagen, dass ich mir gestern Abend so dermaßen die Birne weggeknallt hab, dass ich mit einem Typen aus Erics Band in der Kiste gelandet bin? Denkst du, dass er das gut findet?“

Während sie sprach, quollen erneut Tränen aus ihren Augen und ich atmete tief durch, bevor ich vor ihr in die Hocke ging und nach ihren Händen griff.

„Leicht wird es mit Sicherheit nicht, Flo – aber was ist die Alternative? Willst du deine Ehe wirklich mit einer Lüge beginnen?“

Sie starrte an mir vorbei ins Nichts und tat mir dabei unendlich leid. Die letzten vier Wochen hatte sie sich wie eine Besessene in die Hochzeitsplanung gestürzt und ich hatte Flo bis dahin noch nie so glücklich gesehen.

„Du liebst ihn“, sagte ich leise. „Das weiß ich.“

Sie nickte mehrmals. „Das tue ich. Aber wenn ich ihn so liebe, wieso baue ich dann so eine Scheiße?“

Sanft strich ich ihr über den Arm. „Du bist eben auch nur ein Mensch, Flo. Menschen machen Fehler. Aber Chris scheint jemand zu sein, der Fehler auch verzeihen kann.“

Sie atmete zitternd ein. „Wir werden heute nicht heiraten, oder?“

„Wahrscheinlich nicht“, murmelte ich. „Aber das findest du nur heraus, wenn du mit ihm sprichst.“

Sie nickte. „Okay, ich spreche mit ihm.“ Unsicher kam sie auf die Füße und presste sich die Hand auf den Magen. „Aber vorher muss ich noch …“

Rasch trat ich aus dem Weg als Flo an mir vorbei zur Toilette stürzte. Kurz darauf hörte ich, wie sie sich geräuschvoll erbrach. Ich schluckte und war froh, dass meine Schwangerschaftsübelkeit endlich etwas nachgelassen hatte, obwohl ich gerade ebenfalls ein flaues Gefühl in der Magengegend verspürte.

„Okay, dann rufe ich Chris jetzt an“, sagte Flo, nachdem sie sich den Mund ausgespült und wiedergekommen war.

„Tu das“, sagte ich. „Soll ich hier bei dir bleiben?“

Flo straffte die Schultern und schüttelte den Kopf.

„Nein, das hab ich mir allein eingebrockt – und das muss ich nun auch allein auslöffeln.“ Sie blickte mich aus schimmernden Augen an. „Trotzdem danke, Esther. Ich melde mich bei dir, sobald ich etwas sagen kann.“

 

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