Esther – 127

Esther – 127

„Hören Sie, ich habe das Kleid nicht einmal ausgepackt!“, erklärte Flo, woraufhin die pummelige Brautmodenverkäuferin tief seufzte.

„Das ändert aber nichts daran, dass wir es nicht einfach zurücknehmen können.“

„Aber es ist ganz neu!“ Flo fuhr sich frustriert durch ihre rotblonden Locken und drehte sich zu mir um. „Esther, hilf mir doch mal bitte!“

„Sie hat recht, das Kleid wurde kein einziges Mal getragen“, sagte ich und versuchte mich von der Flut an weißen und cremefarbenen Kleidern nicht erschlagen zu lassen. Erst vor ein paar Wochen hatte ich hier Stunden verbracht, um gemeinsam mit Flo das perfekte Hochzeitskleid auszusuchen. Dass wir es unbenutzt zurückgeben würden, damit hatte wohl niemand gerechnet. Allerdings konnte ich noch weniger glauben, dass ich selbst auch bald ein Kleid benötigen würde.

Weil Eric mir einen Antrag gemacht hatte.

Noch immer war die Erinnerung an diesen Moment ein kostbarer Schatz, den ich bisher mit niemandem geteilt hatte.

„Ich kann gebrauchte Kleider nicht einfach so zurücknehmen“, beharrte die Verkäuferin. „Sonst würde jede zweite Braut bald in unserem Laden stehen und ihr benutztes Kleid zurückbringen.“

„ABER ICH HABE ES NICHT BENUTZT!“, schrie Flo mit überschnappender Stimme und ich legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.

Die Frau machte einen halben Schritt zurück und blickte von Flo vorsichtig zu Jackson, der sich im Hintergrund hielt. Vielleicht erwartete sie, dass wir ihn gleich mit einem Fingerschnippen zu uns rufen würden, um sie zu zwingen, das Kleid zurückzunehmen. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, ich sollte versuchen, die Situation zu deeskalieren.

„Ich kann bezeugen, dass die Hochzeit nicht stattgefunden hat“, pflichtete ich Flo bei. „Alles wurde abgesagt: das Catering, der Pfarrer, die Live-Band …“

„Und wieso?“, fragte die Verkäuferin mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Weil ich bei meinem Junggesellinnenabschied mit dem Gitarristen von NEBEN geschlafen habe, okay?!“, schnappte Flo.

Die Verkäuferin machte runde Augen. „Ehrlich? Das ist meine Lieblingsband!“

„Na toll“, murrte Flo und ich unterdrückte ein Schmunzeln. „Nehmen Sie das Kleid jetzt zurück?“

Sie biss sich auf die Lippen. „Wir können keinesfalls den ganzen Kaufpreis erstatten.“

„Das habe ich auch nicht erwartet.“

„Okay, ich spreche mal mit der Chefin.“ Die rundliche Verkäuferin ließ uns stehen und verschwand hinter einem schweren cremefarbenen Vorhang in den hinteren Teil des Geschäfts.

„Unglaublich, dass mein One-Night-Stand mit Aron der ausschlaggebende Grund dafür ist, dass ich das verdammte Kleid zurückgeben kann“, schnaufte Flo und fuhr sich durch ihre offenen Haare.

„Wie geht es denn dir und Chris?“, hakte ich nach und stützte mich dabei auf dem Verkaufstresen ab.

„Er will jetzt zur Paartherapie gehen“, murmelte Flo missmutig.

„Das klingt doch nach einem vernünftigen Schritt“, sagte ich und dachte, dass es auch vernünftig gewesen wäre, Flo endlich von meiner Verlobung mit Eric zu erzählen. Die letzten beiden Tage schlich ich schon um das Thema herum – und obwohl ich kaum hätte glücklicher sein können, fand ich es irgendwie komisch, meiner besten Freundin von meiner bevorstehenden Hochzeit zu erzählen, nachdem ihre gerade geplatzt war.

„Brokkoli essen ist auch ein vernünftiger Schritt“, murrte Flo. „Trotzdem macht es keinen Spaß.“

„Solange du nichts mit dem Therapeuten anfängst, ist doch alles gut.“

Flo beugte sich rüber und versetzte mir einen spielerischen Klaps auf die Schulter. „Super. Du bist mir ja eine Freundin.“ Sie seufzte. „Aber was ist mit dir? Irgendwelche weltverändernden Neuigkeiten?“ Sie schielte auf meinen Bauch, der langsam immer größer wurde. „Habt ihr schon einen Namen ausgesucht oder so?“

Ich holte tief Luft und beschloss, es einfach zu sagen. „Das nicht. Aber Eric hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten möchte.“

3 thoughts on “Esther – 127

  1. Klar ist das eine scheiß Situation, aber ich finde gut das Esther es Flo erzählt. Die beiden sind nun mal Freundinnen und ich denke Flo wird das irgendwie traurig machen, sich aber auch freuen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back To Top