Esther – 136

Esther – 136

„Mrs. Anderson? Ihr Mann ist aufgewacht. Sie können jetzt zu ihm.“ Die dunkelhaarige Krankenschwester nickte meiner Mutter zu und wir sprangen beide gleichzeitig in die Höhe.

„Ist … die Operation gut verlaufen?“, fragte meine Mutter und griff haltsuchend nach meiner Hand.

„Er ist jetzt stabil. Einer der Ärzte wird nachher noch mit Ihnen sprechen“, erwiderte die ältere Krankenschwester und bedeutete meiner Mutter und mir, ihr zu folgen. Unruhig schaute ich mich nach Eric um. Er war vor ein paar Minuten verschwunden, um sich einen Kaffee zu holen, und seitdem nicht wieder zurückgekommen.

„Esther, kommst du?“, fragte meine Mutter unruhig.

„Natürlich“, murmelte ich und beeilte mich, ihr durch den Krankenhausflur zu folgen.

„Versuchen Sie, Ihren Besuch eher kurz zu halten“, sagte die Krankenschwester leise. „Er ist zwar wach, trotzdem ist er noch sehr schwach.“

Ich nickte und versuchte mich für den Anblick meines Vaters zu wappnen, den ich seit meiner Kindheit nur gesund und stark in Erinnerung hatte. Die Krankenschwester öffnete eine hellgraue Tür und führte uns in ein leicht abgedunkeltes Zimmer.

Mein Vater lag in dem einzigen Bett auf der linken Seite des Raumes. Eine Kanüle mit einem langen Schlauch führte von seinem Unterarm nach oben zu einem Tropf – und er war an einen Monitor angeschlossen, der seine Vitalfunktionen anzeigte.

Mit heftig klopfendem Herzen trat ich an sein Bett. Papas Augen waren geschlossen und seine Haut war so wächsern und bleich wie von einer Puppe.

„Sie können ihn ruhig anfassen“, sagte die Schwester sanft, woraufhin ich nach seiner Hand griff. In dem Moment schlug er die Augen auf.

„Esther. Du bist hier.“

Ich nickte stumm. „Wie geht es dir?“ Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, hätte ich mich dafür ohrfeigen können. Er hatte gerade einen Herzinfarkt überlebt, da ging es ihm wahrscheinlich nicht allzu gut.

„Ich hab mich schon mal besser gefühlt“, erwiderte er mit einem schiefen Lächeln. Dann hustete er kurz und schloss wieder erschöpft die Augen.

„Du musst jetzt nicht reden. Schlaf einfach“, sagte ich und drückte seine Hand.

„Wir sind hier“, ergänzte meine Mutter und beugte sich über ihn, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben.

„In Ordnung“, murmelte mein Vater erschöpft. „Dann hole ich die Sportschuhe ein andermal heraus.“

Mit einem schwachen Lächeln zog ich mir einen Stuhl heran und setzte mich an sein Bett. Meine Mutter ließ sich stumm neben mir nieder.

Ein paar Minuten saßen wir nur so da, während die Atemzüge meines Vaters langsam immer tiefer wurden.

„Was genau ist passiert?“, fragte ich schließlich, als ich sicher war, dass er schlief.

Meine Mutter atmete tief ein. „Wir sind auf der Couch gesessen und haben ferngesehen. Irgendwann sind die Nachrichten gekommen. Und dann …“ Sie biss sich auf die Lippen und wich meinem Blick aus. „Plötzlich hat er sich an die Brust gegriffen und gemeint, er bekäme keine Luft. Ich hab sofort die Rettung verständigt.“

„Und das war alles?“, fragte ich, da ich das Gefühl hatte, dass sie mir einen Teil der Geschichte verschwieg.

Meine Mutter strich sich fahrig über ihren Rock. „Wie meinst du das?“

„Ist sonst noch was passiert?“, hakte ich stirnrunzelnd nach.

Sie wich erneut meinem Blick aus. „Er hat sich kurz aufgeregt“, sagte sie dann leise.

„Und wieso?“

„Wegen etwas, das in den Nachrichten kam.“

Ungläubig starrte ich sie an. „Die Nachrichten haben ihn dermaßen aufgeregt, dass er …“ Im nächsten Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Was für Nachrichten?“, fragte ich tonlos. „Etwa die von Eric und Aron?“

Noch bevor meine Mutter antworten konnte, hörte ich eine Bewegung hinter mir und drehte mich um. Eric stand mit einem Kaffeebecher in der Hand in der Tür. Sein Gesicht wirkte unendlich müde, als er zwischen mir und meiner Mutter hin und her sah.

„Wollt ihr damit sagen, er hat einen Herzinfarkt bekommen, weil er gesehen hat, wie ich mich geprügelt habe?“

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