Esther – 141

Esther – 141

„Willkommen bei Sorthys & Clark“, erklang eine melodiöse Frauenstimme. „Was kann ich für Sie tun?“ Ich blickte auf den gläsernen Empfangsbereich vor mir. Die Anwaltskanzlei, bei der ich heute mein Praktikum beginnen würde, war trotz ihres jahrzehntelangen Bestehens kein bisschen verstaubt – sondern präsentierte sich in einem modernen und frischen Design, bei dem ich gleich noch aufgeregter wurde, meine nächsten Wochen hier zu verbringen.

„Mein Name ist Esther Anderson“, erwiderte ich mit einem möglichst professionellen Lächeln. „Ich soll mich hier für mein Praktikum melden.“

Die brünette Empfangsdame mit dem trendigen Fransenschnitt blickte von mir zu Jackson, der sich wie gewöhnlich im Hintergrund hielt. „Äh, okay. Ich gebe gleich Bescheid“, sagte sie und drückte auf einen Knopf auf ihrer Telefonanlage.

Unglücklich warf ich einen Blick über die Schulter. Jackson rührte sich nicht von der Stelle und ich wusste, dass er so lange im Eingangsbereich der Anwaltskanzlei warten würde, bis ich Anstalten machte, das Gebäude wieder zu verlassen. Seitdem Paparazzi-Fotos von mir aufgetaucht waren, auf denen man mich Hand in Hand mit Eric abgelichtet hatte, und der Wind mein Kleid so ungünstig gegen meinen Bauch geblasen hatte, dass man meine deutliche Wölbung gut erkennen konnte, war mein Leben nicht mehr wie vorher. Immer wieder lauerten Fotografen auf der Straße vor meiner Wohnung und Eric hatte ein Machtwort gesprochen, dass ich mich ohne Jackson nicht mehr in der Öffentlichkeit bewegen sollte.

Einerseits verstand ich seine Sorge um mich – und war auch froh über Jacksons beruhigende Anwesenheit neben mir – doch in Momenten wie diesen fühlte es sich einfach nur schrecklich an. Als wäre ich ein Kleinkind, das noch nicht einmal allein aufs Klo gehen konnte.

„Esther! Ich freue mich, dass Sie hier sind“, begrüßte mich in diesem Moment meine Dozentin, die durch eine der getönten Glastüren kam. Sie trug einen eleganten grauen Hosenanzug, der ihre schlanke Figur betonte. Vor der Schwangerschaft hätte mir das sicherlich auch gut gestanden, aber da ich inzwischen schon eine sichtbare Kugel vor mir herschob, konnte ich diese Art von Kleidung für die nächsten paar Monate vergessen. „Kommen Sie gleich mit. Ich habe allen in der Kanzlei schon von Ihnen vorgeschwärmt.“

Ihre Worte brachten mich in Verlegenheit, doch ich versuchte, mir nichts davon anmerken zu lassen.

„Ich freue mich auch, hier zu sein“, erwiderte ich so selbstbewusst wie möglich, als der Blick meiner Dozentin auf Jackson fiel. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie quer durch den Raum.

„Nein, das ist kein Klient, das ist mein …“ Ich geriet ins Stocken und bemerkte den leicht schadenfrohen Gesichtsausdruck der Empfangsdame neben mir. „Mein Begleiter“, presste ich schließlich hervor, da mir das Wort „Bodyguard“ nicht über die Lippen kommen wollte. „Personenschützer“ war auch nicht besser, da hätte ich Jackson ebenso meinen Ninja-Schatten nennen können – das wäre genauso peinlich gewesen.

„Ihr Begleiter?“, wiederholte meine Dozentin leicht überrascht. Im nächsten Moment fiel der Groschen. „Ah. Ihr Leibwächter. Ich verstehe.“ Sie zögerte. „Wird er Ihnen denn die ganze Zeit folgen?“

„Nein! Natürlich nicht“, bemühte ich mich zu versichern und spürte, wie ich rot anlief. „Er begleitet mich nur in der Öffentlichkeit. Wegen der … Fotografen.“

„Alles klar“, sagte meine Dozentin und lächelte wieder so strahlend wie vorher. „Dann kommen Sie mit, Esther. Sie werden sich gleich eine Menge Namen merken müssen.“

Erleichtert, dass das Thema Jackson vorerst vom Tisch war, folgte ich ihr durch die Tür in die moderne Kanzlei. Geräumige gläserne Büros lagen zu beiden Seiten des lichtdurchfluteten Korridors, der angenehm nach Zitrone duftete.

„Wir beginnen mit einem Rundgang, bevor ich Ihnen die einzelnen Personen vorstelle“, sagte meine Dozentin über die Schulter. „Wie Sie sicherlich wissen, wurde Sorthys & Clark schon vor über sechzig Jahren gegründet. Dennoch ist es uns ein großes Anliegen, stets mit dem Geist der Zeit zu gehen. Deshalb finden Sie bei uns auch keine verstaubten Ansichten oder Unternehmensstrukturen.“ Während sie sprach, warf ich neugierige Blicke in die Büros zu beiden Seiten. Überall entdeckte ich junge, modebewusste Menschen, die einen ehrgeizigen Eindruck auf mich machten. Die meisten arbeiteten hochkonzentriert an ihren Computern, einige standen aber auch zusammen und unterhielten sich angeregt – wahrscheinlich über ihre Fälle. Ich spürte, wie ein Lächeln über mein Gesicht glitt. Genauso hatte ich mir meine Traumkanzlei immer vorgestellt: jung, modern und engagiert. In diesem Moment drehte sich ein blonder Mann, der gerade noch angeregt mit einer bildschönen Asiatin diskutiert hatte, in meine Richtung. Ich lächelte noch immer, während sich unsere Augen trafen. Allerdings verging mir das sofort wieder, als sich nun auch die Asiatin zu mir umdrehte und mich beide mit so einem überheblichen Blick bedachten, dass sich mir der Magen zuschnürte.

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