Esther – 142

Esther – 142

„Erzähl mir genau, was passiert ist.“ An Erics Stimme konnte ich hören, wie sehr er sich darum bemühte, seine Emotionen im Zaum zu halten.

Ich schlug die Augen nieder und bereute, gleich mit der Wahrheit herausgeplatzt zu sein.

„Anscheinend hat meine Erwähnung in den Medien dafür gesorgt, dass einige Kollegen gewisse …“ Ich zögerte einen Moment. „Gewisse Vorurteile mir gegenüber haben. Sie scheinen irgendwie der Meinung zu sein, dass mich nur mein neugewonnener Promi-Status in die Kanzlei gebracht hat.“

Eric schüttelte wütend den Kopf. „Wie kann das sein? Schließlich hat dich deine Dozentin doch schon vor Monaten auf das Praktikum angesprochen.“

Ich bohrte mit einer Silbergabel kleine Löcher in die weiße Stoffserviette. „Das ist mir klar. Aber seit dieses Foto in der Zeitung aufgetaucht ist, wo der Wind mein Kleid gegen meinen Bauch geweht hat, ist es den anderen nicht klar. Außerdem vertritt Sorthys & Clark den Musiker, der euch verklagt hat. Mir war natürlich bewusst, dass ich mit diesem Fall aus Gründen der persönlichen Befangenheit nichts zu tun haben würde. Was ich nicht dachte, war, dass die Mitarbeiter der Kanzlei solche Ressentiments gegen mich entwickeln.“ Gegen meinen Willen spürte ich, wie sich mir wieder die Kehle zuschnürte. Der Tag in der Kanzlei war tatsächlich die Hölle gewesen. Nicht, dass ich erwartet hätte, dass vor mir der rote Teppich ausgerollt werden würde, aber die vielen abschätzigen Blicke hatten mich dennoch kalt erwischt.

Eric schwieg einen Moment, bevor er den Kopf schüttelte. „Ich will nicht, dass du da nochmal hingehst.“

„Wie bitte?“ Ich starrte ihn mit offenem Mund an. „Meinst du das ernst?“

„Natürlich meine ich das ernst. Ich will nicht, dass du dir das noch einmal antust.“ Seine Stimme klang bestimmt.

„Das heißt, es ist dir lieber, wenn ich beim ersten kleinen Widerstand aufgebe?“

Eric seufzte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Das habe ich nicht gesagt.“

„Aber es ist doch die Konsequenz deiner Aussage, oder nicht? Mein erster Tag in der Kanzlei war ungemütlich, deshalb soll ich alles hinschmeißen.“

„Ich möchte nur nicht, dass du dich – und das Baby – einem negativen Umfeld aussetzt“, hielt er deutlich genervter dagegen. Der Kellner mit den grauen Schläfen näherte sich unserem Tisch und Eric gab ihm mit einem unfreundlichen Kopfschütteln zu verstehen, dass wir noch nichts ausgesucht hatten.

„Halt bitte das Baby da raus“, sagte ich nun auch etwas aggressiver. „Ich bin zwar schwanger, aber deshalb noch lange nicht aus Glas. Ein paar unfreundliche Blicke kann ich durchaus ertragen.“

„Aber wieso willst du es denn ertragen?“ Eric legte seine Unterarme auf dem Tisch auf und beugte sich in meine Richtung. „Du bist nicht auf diese Arschlöcher angewiesen, Esther. Wenn du erst mal deinen Abschluss hast, wirst du überall anfangen können, wo du möchtest.“

„Denkst du?“, fragte ich bitter. „Wenn ich mal meinen Abschluss habe, werde ich mit dir verheiratet sein, Eric. Und wenn ich bis dahin noch keine Erfahrungen in einer Kanzlei gesammelt habe, werde ich mit noch viel größeren Schwierigkeiten konfrontiert werden, als gerade eben.“

Eric stöhnte frustriert. „Du willst also weiterhin dorthin gehen?“

Ich nickte vehement. „Schließlich hast du zu mir gesagt, ich soll nichts bereuen. Du hast zu mir gesagt, ich soll das Praktikum annehmen.“

„Das war aber, bevor ich wusste, dass die Mitarbeiter dich dort wie den letzten Dreck behandeln“, schnaubte Eric.

„Können wir bitte über was anderes reden?“ Obwohl ich gerade keinen Hunger hatte, ließ ich meinen Blick erneut über die Speisekarte gleiten. „Wie war denn dein Tag?“

Als Eric schwieg, hob ich den Blick. „So schlimm?“

Entnervt atmete er aus. „Heute war der verdammte Mediator da und hat mit uns allen wieder Einzelgespräche geführt.“

„Das klingt doch gut“, sagte ich lahm, obwohl ich an seiner Stimme merkte, dass es ganz und gar nicht gut war.

„Nun, er fand es wohl nicht so gut“, sagte Eric. „Denn er meinte, die Gräben in der Gruppe wären so schlimm, dass wir auf so einen beschissenen Teambuilding-Workshop gehen müssen. Ein ganzes verfluchtes Wochenende lang.“

One thought on “Esther – 142

Schreibe einen Kommentar zu Valérie Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back To Top