Esther – 147

Esther – 147

„Bist du auch wirklich glücklich mit dem Kleid?“ Flo schloss betreten die Tür des Brautmodengeschäftes, die mit einem melodischen Klingeln ins Schloss fiel. „Wir hätten schon noch in den Laden gehen können, in dem ich damals mein Kleid gekauft habe, und dort weitersuchen.“

„Schon gut.“ Ich lächelte meine Freundin an. „Es ist wirklich okay. Wie du selbst gesagt hast, war das zumindest das erste Kleid, bei dem du keine Assoziationen zu irgendwelchen Meeressäugern hattest.“

„Was aber noch lange nicht bedeutet, dass es das Richtige für deine Hochzeit ist, Esther.“

Ich zuckte mit den Schultern, während ich Jackson zu unserem Wagen folgte. „Manchmal frage ich mich, ob die Hochzeit so kurz vor der Geburt nicht ohnehin eine Schnapsidee ist. Eric und ich haben letzte Woche noch Kontakt zu einem Immobilienmakler aufgenommen, was bedeutet, dass wir uns mal eben so das Projekt gemeinsames Zuhause noch zusätzlich aufgehalst haben. Und mit Zoe haben wir auch noch nicht geredet.“

Flo legte mir kurz den Arm um die Schultern. „Wow. Das klingt viel. Neue Stieftochter, neues Baby, neues Apartment, eine Freundin, die dir nur die Ohren volljammert und dann noch Erics Klage, bei der er einen Großteil seines Vermögens verlieren könnte.“ Sie stockte kurz. „Oder alles? Kann es sein, dass er pleite geht?“

„Du verstehst es echt, die Stimmung zu heben, Flo.“

Sie sprach einfach weiter, als ob sie mich gar nicht gehört hätte. „Oh mein Gott, stell dir vor, Eric geht tatsächlich pleite und kann sich die Hochzeit nicht mehr leisten. Sanchez würde ausflippen! Er hat mich gestern schon völlig aufgelöst angerufen, weil ihr euch noch immer nicht auf eine Farbe für den Blumenschmuck einigen konntet.“

Ich musste grinsen. „Wie schön, dass das Schlimmste an der Vorstellung, dass Eric sein gesamtes Vermögen verliert, für dich darin liegt, dass wir damit den Hochzeitsplaner aufregen könnten.“

„Der Hochzeitsplaner kann ganz schön anstrengend sein“, murmelte Flo verteidigend.

Ich grinste noch mehr. „Jetzt bereust du es, ihm deine Telefonnummer gegeben zu haben, richtig?“

Sie seufzte. „Ja, ich bereue es wirklich. Du hattest sowas von recht.“

„Weibliche Intuition“, erwiderte ich und gab Jackson die riesige Tüte mit dem Brautkleid, das mir aktuell sogar noch ein bisschen zu weit war. Bis zur Hochzeit würde es mir wahrscheinlich perfekt passen – und wenn nicht, kannte Flo eine begnadete Schneiderin, die es für mich umändern konnte.

Während Jackson meine Einkäufe im Kofferraum verstaute, bekam Flo eine Nachricht auf ihr Handy. Schon nach dem ersten Blick darauf presste sie die Lippen zusammen und wurde kalkweiß im Gesicht.

„Was ist los?“, fragte ich, während ich auf die Rückbank von Jacksons Wagen rutschte. Flo stieg nach mir ein und hielt ihren Blick wie hypnotisiert auf das Display gerichtet.

„Chris“, quetschte sie schließlich hervor. „Wir wollten uns heute treffen, ich sollte ihn von der Arbeit abholen. Und jetzt hat er gerade geschrieben, dass er überraschend länger arbeiten muss.“

„Und du glaubst ihm nicht?“

„Nein, ich glaube ihm kein bisschen.“ Flos Stimme bebte. Bei dem Gesicht, das sie machte, war es sowohl möglich, dass sie gleich eine Schimpftirade losließ oder in Tränen ausbrechen würde.

„Okay. Dann lass es uns rausfinden.“ Ich blickte nach vorne zu meinem Bodyguard, der soeben eingestiegen war. „Jackson, fahren Sie uns bitte zu … wie heißt nochmal die Catering-Firma, für die Chris arbeitet?“

Delicious Dishes“, flüsterte Flo, bevor sie Jackson die Adresse durchgab, die zufällig nur ein paar Häuserblocks entfernt lag.

„Hey. Jetzt lass uns mal nicht vom Schlimmsten ausgehen.“ Ich versuchte, Flo aufmunternd zuzulächeln, die während der letzten drei roten Ampeln stumm nach draußen gestarrt hatte. „Es kann doch wirklich sein, das er länger arbeiten muss.“

Sie sah noch immer aus dem Fenster. „Klar. Aber das ist es nicht. Ich spüre, dass er lügt.“

„Okay. Ist das so etwas wie eine besondere magische Gabe, bei der du nur eine Textnachricht auf dem Handy lesen musst, um zu wissen, ob die betreffende Person lügt oder die Wahrheit sagt?“

Flos Kopf ruckte herum. „Mach dich nicht über mich lustig, Esther.“

„Tut mir leid. Ich wollte dich nur aufheitern. Mach dir keine Sorgen. Chris ist einfach nicht der Typ, der seine Freundin kaltblütig belügen wür-“ Der Rest des Satzes blieb mir im Hals stecken. Denn Jackson war soeben auf den Mitarbeiter-Parkplatz von Delicious Dishes eingebogen, wo ein sichtlich nicht-arbeitender Chris vor seinem Auto stand. Doch das war noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass er nicht allein dort stand, sondern gemeinsam mit einer hübschen Blondine, die erregt auf ihn einredete.

„Langsamer!“, zischte Flo und klammerte sich an dem Vordersitz fest. „Können Sie sich bitte schnell irgendwo einparken?“

Jackson lenkte seinen Wagen wortlos auf den nächsten freien Stellplatz, von wo aus wir noch immer einen guten Blick auf Chris und die Blondine hatten, die nicht so aussahen, als würden sie ein Gespräch über die Arbeit führen.

„Das ist sie.“ Flo legte sich die Hand auf den Mund. „Die Frau, von der ich dir erzählt habe. Die mit dem Eisköniginnen-Blick.“

„Vielleicht hat das gar nichts zu bedeuten“, erwiderte ich hilflos, als Chris und seine hübsche blonde Kollegin nacheinander in seinen Wagen stiegen.

„Nichts zu bedeuten?“, stieß Flo hervor. „Sieh sie dir doch an! Wahrscheinlich fahren sie jetzt in ein Hotel oder zu ihr nach Hause, wo sie dann …“ Schluchzend brach sie ab.

„Hey.“ Ich zog sie an mich. „Wir werden es herausfinden, okay? Jackson, bitte folgen Sie Chris’ Wagen.“

 

 

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