Esther – 153

Esther – 153

„Nein.“ Ich starrte in den Spiegel und schüttelte dabei immer wieder den Kopf. „Nein, das kann nicht sein.“

„Was ist los?“, rief Flo aus dem Nebenzimmer und kramte weiter in irgendeinem der tausend Koffer, die sie mitgebracht hatte, um die letzte Nacht vor der Hochzeit mit uns in der Pension in der Nähe des Waldes zu verbringen, wo Eric und ich morgen heiraten würden.

Wo wir heiraten würden, obwohl ich den Reißverschluss meines verdammten Kleides nicht mehr zubekam.

„Ich bin zu fett geworden.“ Verzweifelt drehte ich mich vor dem Spiegel hin und her. Mein riesiger Bauch sprengte fast den Stoff des weißen Kleides, das mir vor Kurzem sogar noch ein wenig zu groß gewesen war. „Wie hat das passieren können?“ Verzweifelt versuchte ich es noch mal. „In dem Kleid war doch noch Spielraum!“

Flo kam mit einer Handvoll Brautjungfernkleider über dem Arm zurück in mein Zimmer. Der kritische Blick, den sie mir zuwarf, sagte schon alles.

„Scheiße.“

„Nein.“ Ich atmete tief ein und bereute es sofort, weil die Bewegung beinahe den Stoff sprengte. „Sag so etwas nicht. So etwas sagt man nicht, wenn die beste Freundin am nächsten Tag heiratet und nicht mehr in ihr verdammtes Kleid passt!“

„Okay. Tut mir leid. Sorry.“ Flo legte die Brautjungfernkleider rasch über die Lehne eines Ohrensessels und kam über den hellen Holzfußboden zu mir. „Es wird alles gut.“

„Aber ich passe nicht mehr in mein Kleid!“

„Ja, das ist ein Problem. Aber es ist nicht deine Schuld.“ Flo legte mir beide Hände auf die Schultern, als ob das die Sache in irgendeiner Art und Weise besser machen würde. „Es ist die Schuld des Babys. Dein Baby ist einfach zu fett geworden, Esther.“

Ungläubig starrte ich sie an. „Und das soll helfen?“

Flo kniff die Augen zusammen. „Vielleicht ein bisschen?“

Ihr Ansatz war so absurd, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. „Du bist noch verrückter als sonst, seit du und Chris von eurem Karibikurlaub zurück seid.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin einfach glücklich.“ Bei meinem Gesichtsausdruck drehte sie mich erneut zum Spiegel herum. „Und du wirst morgen auch glücklich sein, wenn du mit Eric über die Hasenköttel und den Wildschweinkot zu eurem krummen Hochzeitsbaum schreitest, wo euch eine weise Eule das Eheversprechen abnimmt.“

Nun musste ich tatsächlich lachen, während mir gleichzeitig die Tränen in die Augen traten. „Es ist ein Fehler.“

Flo schüttelte den Kopf. „Es ist kein Fehler, Esther.“

„Doch.“ Ich deutete auf das zum Zerreißen gespannte Hochzeitskleid, das mich von Anfang an nicht vom Hocker gerissen hatte. „Ich habe das Gefühl, wir wollen diese Hochzeit erzwingen. Zuerst wird Eric verklagt, dann finden wir monatelang keine passende Location und schließlich brennt sie ab.“ Ich versuchte, das Zittern aus meiner Stimme herauszuhalten, aber es wollte mir nicht gelingen. „Sanchez hat uns von Anfang an davor gewarnt, zu lange mit der Hochzeit zu warten – und jetzt sieh mich an. Ich sehe aus wie Moby Dick.“

„Du siehst wunderschön aus“, sagte Flo und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Mit einer wirklich verschwindend geringen Ähnlichkeit zu einem riesigen Albino-Wal.“

„Vielleicht ist es ein Omen. Vielleicht sollen Eric und ich einfach nicht heiraten.“

„Stopp.“ Flo sah mich streng über die Schulter hinweg im Spiegel an. „Hör sofort auf damit.“

„Aber …“

„Nichts Aber.“ Sie blickte mich eindringlich an. „Eric und du, ihr seid füreinander bestimmt. Glaub mir, ihr zwei, das ist Schicksal.“ Sie machte eine kurze Pause, in der ihr Gesichtsausdruck sanfter wurde. „Weißt du noch, als du fast gestorben wärst?“

„Ähm …“

„Okay, du lagst im Koma, also wahrscheinlich nicht.“ Flo räusperte sich. „Aber ich kann mich noch erinnern. Und ich sage dir, ich habe damals in Erics Augen gesehen. Dieser Mann wäre ebenfalls gestorben, nur um die Ewigkeit mit dir verbringen zu können.“

Bei ihren Worten schluckte ich.

„Es ist ganz egal, in welchem Kleid du morgen über die Hasenköttel schreitest, Esther. Eric wird dich wunderschön finden.“ Sie beugte sich noch ein Stück näher zu mir. „Und jetzt rufe ich meine begnadete Schneiderin an, damit sie herkommt und dieses Malheur für uns in Ordnung bringt.“

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