Esther – 154

Esther – 154

Endlich. Ich atmete tief ein und wedelte gleichzeitig mit der Hand vor meinen Augen herum, um mir die Wimperntusche nicht mit Glückstränen zu verschmieren. Ich hatte so lange auf diesen Moment gewartet.

„Oh nein.“ Zoe, die mir geholfen hatte, die letzten Blüten in mein Haar zu stecken, betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen. „Du heulst doch nicht etwa?“

Rasch schüttelte ich den Kopf. „Niemals.“

„Flo, Esther spielt Wasserfall“, rief Zoe über die Schulter, woraufhin meine Freundin wie ein Pfeil aus dem Nebenzimmer geschossen kam.

„Was? Wieso?“ Sie musterte kritisch mein wundervolles Kleid, das mir ihre Schneiderin mitgebracht und in letzter Sekunde auf den Leib geschneidert hatte. Es war so viel schöner als das Hochzeitskleid, das ich mir ursprünglich ausgesucht hatte, dass ich der kleinen Asiatin vor lauter Dankbarkeit um den Hals gefallen war.

Passend zu unserer märchenhaften Waldlichtung hatte es einen luftigen, spinnwebenzarten weißen Rock, der vom trägerlosen Bustier abwärts in gefühlt tausend Lagen locker über meinen Babybauch fiel und sanft meinen Körper umspielte. Meine erste Assoziation war gewesen, dass es aussah wie das Kleid einer Feenprinzessin.

Okay, einer hochschwangeren Feenprinzessin.

„Was ist los? Hast du Bedenken? Willst du etwa abhauen? Soll ich den Wagen holen?“

Flos Fragen flogen mir mit militärischer Geschwindigkeit um die Ohren.

„Würdest du denn mit mir abhauen?“, fragte ich zurück, während sie nachdenklich die Augenbrauen zusammenzog.

„Wahrscheinlich. Ja. Obwohl ich Chris versprochen habe, dich notfalls an den Haaren vor den Altar zu schleifen.“

„Ich würde es mir an deiner Stelle überlegen“, sagte Zoe trocken. „Ist wahrscheinlich nicht ohne, ein Leben lang mit meinem Bruder verheiratet zu sein.“

Ihr schwarzer Humor brachte mich zum Lachen. „Ich will nicht abhauen, okay? Ich bin einfach … glücklich.“

„Klar, wer heult da nicht“, murmelte Zoe halblaut, während Flo mich liebevoll in die Arme schloss.

„Es wird ganz wundervoll“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Und falls nicht, fahre ich das Fluchtauto.“

„Danke“, hauchte ich schmunzelnd, bevor ich einen Schritt zurücktrat und die beiden anlächelte. „Ich bin so weit.“

„Sehr gut. Dann lass uns dich jetzt unter die Haube bringen.“

 

Knappe fünfzehn Minuten später schritt ich langsam zwischen den blumengeschmückten Stämmen zweier schlanker Birken auf die wundervollste Lichtung, die ich je gesehen hatte. Funkelndes Sonnenlicht fiel schräg auf das zartgrüne Gras, während Sanchez dem Streichquartett ein Zeichen gab, das genau im richtigen Moment zu spielen anfing.

Lächelnd blickte ich zu Eric. Er stand am anderen Ende der Lichtung mit Chris neben einem wundervoll geschmückten Hochzeitsbogen und sah in seinem schwarzen Anzug einfach umwerfend aus. Dennoch entging mir nicht die Erleichterung auf seinem Gesicht, als sich unsere Blicke trafen.

Eric Adams war wegen mir nervös gewesen.

Die Vorstellung hätte sich vor einiger Zeit noch total absurd angefühlt, doch jetzt entfachte sie in mir ein Glücksgefühl, das durch meinen ganzen Körper flutete.

„Bereit, Kleines?“ Mein Vater hatte den Platz neben meiner Mutter verlassen und bot mir seinen Arm an, wo ich mich glücklich einhakte.

„Bereit“, flüsterte ich, bevor ich gemeinsam mit meinem Dad über das weiche Gras der Lichtung schritt. Vogelgezwitscher erfüllte die Luft und vermischte sich mit den sphärischen Klängen des Streichquartetts. Mein Herz klopfte viel zu schnell in meiner Brust. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so glücklich gewesen war.

Unsere Freunde und Verwandten hatten sich so verteilt, dass sie einen schmalen Gang freiließen, durch den wir gehen konnten. Ich lächelte meiner Mutter zu, die sich mit einem Taschentuch die Augen abtupfte, und grinste Simon an, der mir strahlend zuzwinkerte. Da es für die Gäste keine Stühle gab, mussten alle stehen, aber das war entgegen Sanchez’ Prognose überhaupt nicht schlimm. Dadurch wirkte alles irgendwie andächtiger und fast schon … magisch.

Glücklich näherte ich mich Eric und dem beleibten Pfarrer, der uns wohlwollend entgegenlächelte. Mein Dad übergab meine Hand sanft an Eric, der mich so sexy angrinste, dass mir die Knie ein wenig weich wurden.

Als wir unter den Hochzeitsbogen traten, spielten die Musiker ihre letzten Töne, die gefühlvoll auf der Lichtung verklangen. Die darauffolgende Stille war erfüllt von jeder Menge Emotionen und noch so tiefgreifend, dass jeder mein erschrockenes Keuchen hören konnte, als mir plötzlich etwas Nasses zwischen den Beinen hinunterlief.

 

3 thoughts on “Esther – 154

  1. Oh nein! Doch nicht jetzt! Das Timing könnte nicht schlechter sein.? Sie müssen doch den schlnsten Tag im Leben genießen können. Und jetzt sind sie so kurz davor eine Traumhochzeit zu feiern, und dann so was. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.???

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