Esther – 54

Esther – 54

Das Lokal, in dem sich Flo mit mir zum Brunch treffen wollte, war ein neu eröffneter Laden, der alles daran setzte, möglichst bald zu einer der angesagtesten Adressen in der Stadt werden.

Bunte Neon-Leuchtröhren verliefen am Boden und die Kellner trugen alle identische graue Ganzkörperanzüge, die irgendwie cool und lächerlich zugleich aussahen.

„Hey Esther, hallooooo!“, rief Flo, kaum, dass ich mit Eric an meiner Seite den Laden betreten hatte, und winkte von einem der zentral gelegenen Tische. Obwohl das Lokal erst eröffnet hatte, war jetzt schon kaum ein Platz frei, was für eine beeindruckende Marketingstrategie sprach.

Ich winkte weniger auffällig zurück und bahnte mir mit Eric meinen Weg durch die Menge.

Eric ließ die Sonnenbrille auf und hielt den Kopf gesenkt, aber ich bemerkte dennoch einige interessierte Blicke in der Nähe. Die Leute, die hier verkehrten, waren jung – und die allermeisten kannten mit Sicherheit seine Band, aber ich hoffte einfach, dass sie uns in Ruhe ließen.

„Hey“, sagte ich, als wir den flachen weißen Tisch erreicht hatten, und umarmte Flo kurz. Dann streckte ich dem blonden Typen neben ihr die Hand hin. „Ich bin Esther“, stellte ich mich vor.

Er hatte breite Schultern und schmale Hüften, so eine typische Cornetto-Figur und sah aus wie ein Footballspieler.

„Hank“, antwortete er und blieb sitzen, als er mir die Hand gab. Dafür packte er so fest zu, dass es wehtat und ich war froh, als er wieder losließ.

„Und du bist also der berühmte Eric“, fuhr Hank fort und betrachtete Eric aus halbgeschlossenen Augen. Er sagte es mit einem seltsamen Unterton und war mir von der ersten Sekunde an unsympathisch.

„Ich habe Hank schon ein bisschen was von dir erzählt“, sagte Flo rasch und sah sich suchend um. Sie wirkte total aufgekratzt. „Wo ist denn jetzt nur dieser Kellner hin?“, rief sie dann.

Eric warf mir einen kurzen Blick zu und ließ sich auf einen Sessel fallen, der vom Design her auch in ein Raumschiff gepasst hätte.

„Habt ihr schon bestellt?“, wollte ich wissen, als ich mich ebenfalls setzte.

Flo schüttelte den Kopf. „Wir sind auch gerade erst gekommen“, erwiderte sie mit einem vielsagenden Grinsen.

Hank warf Eric einen überheblichen Blick zu, als wäre es eine Leistung, Zeit mit Flo im Bett zu verbringen, die ihm erst mal einer nachmachen sollte.

„Also … hab gehört, du singst“, sagte Hank jetzt zu Eric, als wäre Eric irgend so ein Straßenmusiker, der sich nur mit Müh und Not über Wasser halten könnte.

Eric nickte knapp und zog die Speisekarte zu sich heran.

„Und was machst du, Hank?“, spielte ich ihm den Ball zu, während ich gleichzeitig einen Blick auf Erics offene Karte warf.

„Ich studiere Sportwissenschaft“, erwiderte Hank selbstzufrieden und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Ich wollte ursprünglich in den wirtschaftlichen Bereich, aber nachdem ich ein Eishockey-Stipendium bekommen habe, dachte ich, ich sollte generell was in der Richtung machen.“

„Hank lebt für Sport“, warf Flo ein. „Er hat schon beide obere Schneidezähne bei einem Spiel verloren.“

„Gratuliere“, erwiderte Eric trocken und Hank kniff die Augen zusammen. „War keine große Sache, mein älterer Bruder ist Zahnarzt.“

Eric verschränkte schmunzelnd die Arme vor der Brust und erwiderte nichts.

„Super“, sagte ich in die auftretende Stille hinein und wünschte, ich hätte mir die Zeit genommen, Hank und Flo zuerst mal alleine zu treffen. Auf die Art hätte ich wahrscheinlich schon erahnen können, dass die Chemie nicht passen würde.

„Ja, mein Bruder ist gut in seinem Job. Hast du denn Geschwister, Eric?“, fragte Hank in dem Moment und winkte träge einem der Kellner, der augenblicklich auf unseren Tisch zusteuerte.

Erics Körper spannte sich an und mir fiel auf, dass er Hank keine Antwort gab. „Habt ihr Wodka?“, richtete er das Wort stattdessen an den schlanken Kellner, der eben in seinem grauen Science-Fiction-Anzug zu unserem Tisch gekommen war.

„Üblicherweise erst zu Mittag, aber wir können für Sie sicherlich eine Ausnahme machen“, erwiderte der Mann nach kurzem Zögern.

In dem Moment ging eine hübsche Dunkelhaarige in Minirock und Highheels an unserem Tisch vorbei und stockte, als sie Eric sah. Dann wurden ihre Augen kugelrund und sie blieb stehen.

„Eric? Ich glaub’s nicht! Bist du das wirklich?“

6 thoughts on “Esther – 54

  1. Ich lese jetzt seit einer Weile euren Block und ich kann nur sagen super! Die Zeit zwischen Dienstag und Freitag wird immer länger. Ich liebe euren Blog und werde ihn immer weiterverfolgen! Ein riesengroßes Dankeschön an euch zwei Superfrauen!❤❤❤❤❤❤❤

  2. hallo ihr Lieben,
    vielen Dank für eure Kommentare.
    Wir stellen jetzt gleich den nächsten Beitrag online :)))
    Alles Liebe, Carmen & Ulli

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