Esther – 65

Esther – 65

Nachdem Flo gegangen war, verkroch ich mich in meinem Bett. Mein Kopf pochte bei jeder Bewegung und die Nacht war so unruhig, dass ich kaum Schlaf fand. Am nächsten Morgen wachte ich mit schmerzenden Gliedern auf. Mein Schlafshirt klebte an meiner Haut und ich fühlte mich, als hätte man mich einmal durch den Fleischwolf gedreht.

Völlig fertig quälte ich mich in die Höhe und schlurfte ins Bad. Der erste Blick in den Spiegel war erschreckend. Ich hatte tiefe Ringe unter den Augen und meine Haut war so blass, dass ich in einem Zombie-Film hätte mitspielen können.

„Das hat mir gerade noch gefehlt, dass ich jetzt krank werde“, murmelte ich und putzte mir die Zähne. Danach zog ich mich an. Die Schminke ließ ich heute komplett weg, ich wollte nur schnell einkaufen und noch einen Sprung in die Apotheke, um ein paar Medikamente zu besorgen.

 

Ich legte gerade eine Packung Aspirin vor der Apothekerin auf den Tresen, als meine Mutter anrief.

„Hi Mum“, meldete ich mich müde und nestelte gleichzeitig mein Portemonnaie aus der Tasche. „Wie geht es dir?“

„Mir geht es wunderbar“, antwortete sie. „Ich hatte heute nur den dringenden Impuls, dich anzurufen. Alles okay bei dir, Schätzchen?“

Ihre liebevolle Stimme führte dazu, dass mir die Tränen in die Augen stiegen und ich nickte rasch.

„Ja, alles gut“, presste ich hervor. „Ich fühle mich nur ein wenig krank.“ Die Apothekerin zog das Aspirin über den Scanner und sah mich fragend an. „Bitte noch eine Packung Kamillentee“, sagte ich zu ihr und wandte mich wieder meiner Mutter zu.

„Ist jemand bei dir, der sich um dich kümmert?“, fragte sie besorgt.

Ich bezahlte und schüttelte den Kopf. „Eric ist aktuell in Vegas. Er hat heute Abend einen Gig mit seinen Jungs.“

„Und da bist du gar nicht mitgefahren?“, fragte Mum.

„Er hat mich gefragt, ob ich mitkomme, aber ich musste gestern zur Uni“, erwiderte ich, drehte mich um und fing den aufmerksamen Blick eines jungen Typen mit einem Ziegenbart auf. „Außerdem kann ich nicht zu jedem Konzert von NEBEN gehen, auch wenn ich gerne würde“, setzte ich hinzu und drängte mich an dem Typen vorbei, der keine Anstalten machte, auszuweichen.

„Natürlich nicht, Schätzchen“, sagte meine Mutter. „Obwohl ich das vielleicht anders sehen würde, wenn ich mit einem Rockstar liiert wäre.“

Ich schmunzelte und drückte die Tür zur Straße auf.

„Hey!“, rief mir der Typ mit dem Ziegenbärtchen nach. „Hab ich das richtig verstanden? Du bist die Freundin von Eric Adams?“ Dabei maß er mich mit einem seltsamen Funkeln in den Augen und ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen stieg.

„Esther? Alles okay?“, fragte meine Mutter.

„Ja. Ich melde mich später“, murmelte ich und legte auf.

„Hey, guck doch nicht so unfreundlich“, sagte der Typ und zog sein Handy aus der Jeans. Ungläubig starrte ich ihn an, wandte mich um und floh auf die Straße.

„Jetzt lauf doch nicht weg!“, rief der Typ und ich warf einen schnellen Blick über die Schulter. Er hatte die Apotheke ebenfalls verlassen und hielt sein Handy hoch, als würde er mich fotografieren. In einem anderen Moment hätte ich ihn vielleicht zur Rede gestellt, aber heute wollte ich einfach nur nach Hause.

 

Mit zitternden Knien und heftig pochendem Herzen erreichte ich wenig später meine Wohnung und schloss hinter mir ab. Der Typ aus der Apotheke hatte mich nicht verfolgt, trotzdem war ich die Stufen regelrecht hinaufgerannt – und nun war mir so schlecht, dass ich mir nicht sicher war, ob ich mich übergeben musste. Rasch stellte ich meine Einkaufstasche auf dem Boden ab und stolperte ins Bad. Mein Handy legte ich am Waschbeckenrand ab, dann drehte ich den Wasserhahn auf und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Die Kälte tat mir gut und ich tastete blind nach einem Handtuch, wobei ich gegen mein Handy stieß und es mit einem leisen Platschen in der Toilette versenkte.

„Oh, verdammt!“, fluchte ich und blickte ungläubig auf mein Telefon, das in der Kloschüssel schwamm. Mit einer großen Portion Überwindung fischte ich es heraus und versuchte, es einzuschalten. Es sah absolut tot aus und ich beschloss, es erst mal trocknen zu lassen und mich später darum zu kümmern. Dann wusch ich mir extra lange die Hände, nahm zwei Aspirin und legte mich schlafen.

 

Das restliche Wochenende verbrachte ich fast ausschließlich im Bett. Ich fühlte mich so krank, dass ich nur aufstand, um mir einen Tee zu kochen oder auf die Toilette zu gehen. Sonntagabend ging es mir zum ersten Mal besser – und am Montagmorgen beschloss ich, mein Handy zur Reparatur zu bringen und dann zur Uni zu gehen.

Ich legte etwas Schminke auf, zog mir meine Lieblingsjeans an und war mir die ganze Zeit über bewusst, dass ich in Bezug auf Mr. Norris heute eine Entscheidung treffen musste.

Als das Unigebäude in Sicht kam, klopfte mein Herz schneller und ich wünschte, Eric wäre bei mir gewesen. Ich wusste nicht genau, wann er aus Vegas zurückkam – und ohne mein Handy konnte ich ihn auch nicht fragen.

Eins nach dem anderen, redete ich mir gut zu, als ich die Treppe zum Haupteingang hinaufging. Meine erste Vorlesung hatte ich gemeinsam mit Flo und ich würde sie einfach bitten, mir ihr Telefon zu leihen. Bei der Vorstellung, bald Erics Stimme zu hören, ging es mir schon besser und ich bog in den Gang, der zum Vorlesungssaal führte. Dabei fiel mir der Menschenauflauf am anderen Ende auf und mein Herz setzte für einen Schlag aus, als ich jemanden am Boden liegen sah.

Es war ein Mann, der leise stöhnte. Erschrocken ging ich ein paar Schritte näher und erkannte, dass es sich bei dem Mann um Mr. Norris handelte. Sein weißer Hemdkragen war voller Blut und sein Gesicht sah auch nicht besser aus. Geschockt blieb ich stehen und erhaschte einen Blick auf den schwarzgekleideten Typen, der mit geballten Fäusten daneben stand. Sein Gesicht war bei den vielen Menschen nicht sofort zu erkennen, doch in dem Moment lichtete sich die Menge und ich sah direkt in Erics unversöhnliche Augen.

8 thoughts on “Esther – 65

  1. Geht mir genauso….Ich hasse Männer die sich wie Proleten immer schlagen müssen. Aber der Typ hat es echt verdient…Hoffentlich ist Esther nicht all zu sauer ?

  2. Oh nein, schooooooon wieder warten. Der Freitag kann gar nicht schnell genug kommen…
    (Das hat vielleicht auch etwas mit dem damit verbundenen Wochenende zu tun…. ich weiß, die Woche hat gerade erst angefangen…. ??‍♀️?)
    Aber wenigstens habe ich etwas worauf ich mich freuen kann…. ?

  3. Eigentlich finde ich Leute, die sich und ihre Wut nicht im Griff haben zum kitten, aber in diesem Fall kann ich es vollkommen nachvollziehen, dass Eric „schlagende Argumente“ gegen das Verhalten von diesem Mistkerl aufgefahren hat.
    Hoffentlich bringt das keine Probleme für Eric mit sich. ?

  4. Hach das ist schon süß wie er Esther verteidigt. Klar Gewalt ist nies eine lösung und vielleicht übertreibis Eric da manchmal aber er verteidigt was er liebt und das ist schön.

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