Esther – 66

Esther – 66

Ich blickte in Erics hasserfülltes Gesicht und machte einen Schritt zurück. Er hatte meinen Dozenten zu Boden geschlagen. Ungläubig starrte ich auf die Szene, sah das Blut auf Erics Fingerknöcheln, die gezückten Handys und den jungen Studenten, der sich bückte, um Mister Norris auf die Beine zu helfen. Dieser ignorierte den ausgestreckten Arm und stemmte sich allein in die Höhe. Aus seiner Nase rann Blut und er wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Dabei funkelte er Eric an, der jedoch nur Augen für mich hatte. Auch andere drehten sich jetzt in meine Richtung und ich bemerkte, wie einige ihre Handys auf mich richteten. Mit Herzklopfen blickte ich wieder in das Gesicht des Mannes, der mich begrapscht hatte, und spürte, wie mir das alles zu viel wurde, weshalb ich mich im nächsten Moment umdrehte und ging.

 

„Esther.“ Seine Stimme brachte meinen Herzschlag ins Stolpern, aber ich blieb nicht stehen. Ich wollte nur raus hier, weg von den ganzen starrenden Menschen, weg von dem blutenden Mister Norris und den ganzen Handykameras. Ich war schon auf der Treppe, als ich seine Hand auf meinem Oberarm fühlte. „Esther“, wiederholte er sanft. „Bleib stehen.“

Ich verharrte mitten im Schritt und blickte ihn nach einem Moment des Zögerns über die Schulter an. Seine schwarzen Haare fielen ihm auf diese typische Art in die Stirn, dass ich am liebsten mit den Fingern hindurchgefahren wäre und seine blauen Augen bohrten sich in meine. All der Hass, den ich vorhin bei ihm wahrgenommen hatte, war aus seinem Gesicht gewichen, stattdessen blickte mich nur noch Eric an, mein Eric, den ich kannte und unglaublich vermisst hatte.

Er zog mich ein Stück zu sich heran und ich ließ es zu, ließ zu, dass er seine Arme um mich legte und mich noch näher zog, bis mein Kopf an seiner Brust lehnte und ich seinen unwiderstehlichen Geruch einatmete.

„Wir müssen zur Polizei gehen“, flüsterte ich gegen sein schwarzes T-Shirt und spürte, wie sich seine Muskeln anspannten.

„Ja“, antwortete er rau. „Das müssen wir, damit das Arschloch kriegt, was es verdient.“

 

Der Wind blies mir entgegen, als ich mit Eric ein paar Stunden später aus der Polizeiwache trat. Er hatte seinen Anwalt angerufen und ihm in knappen Worten geschildert, was in der Uni geschehen war. Danach war ich von einer Polizistin in einen extra Raum geführt worden und hatte dort erzählt, was ich am Freitag erlebt hatte. Es war mir erstaunlich gut gelungen, die Fakten sachlich wiederzugeben, doch als ich jetzt neben Eric stand, fühlte ich mich so erschöpft, als hätte ich nächtelang nicht geschlafen.

„Hey“, meinte er und griff nach meiner Hand. „Du siehst müde aus.“

„Bin ich auch“, murmelte ich und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.

„Komm“, sagte er nach einem Moment. „Ich bring dich nach Hause.“

 

Die Fahrt in meine Wohnung verlief schweigend und ich versuchte, nicht zu viel darüber nachzudenken, was uns nun erwartete. Mich, weil ich meinen Dozenten angezeigt hatte – und Eric, weil er ihn vor den Augen aller auf dem Campus verprügelt hatte.

„Flo hat es dir gesagt“, murmelte ich, als Eric mich in mein Bett bugsierte und seine Hand kurz auf meine Stirn legte.

„Ich glaube, du hast Fieber“, erwiderte er nach einem Moment der Stille. „Ich hol dir einen kalten Umschlag.“

„Ich will keinen kalten Umschlag.“

Er sah mir direkt in die Augen. „Du kriegst aber einen.“ Mit diesen Worten verließ er mein Zimmer und kam wenig später mit einem feuchten Gästehandtuch zurück. Ohne auf meinen wütenden Gesichtsausdruck zu achten, setzte er sich neben mich und drückte mir den kühlen Baumwollstoff auf die Stirn. Seine Bewegungen waren sanft und als ich in seine Augen sah, wurde mir klar, dass er jemand war, der töten würde, um mich zu beschützen.

„Ich wollte es dir selbst erzählen“, flüsterte ich.

Er blickte mich an und für einen Moment war mir, als ob ein Schatten über sein Gesicht huschen würde.

„Eric?“, fragte ich stirnrunzelnd. „Was hast du?“

7 thoughts on “Esther – 66

  1. Hoffentlich ist Eric jetzt ehrlich mit Esther, auch auf die Gefahr hin, dass sie sich erst einmal zurückzieht. Aber wahrscheinlich ist gar nichts passiert, er hätte ja schließlich noch die Hosen an. Allerdings sollte er sich was, den Alkohol betrifft, mal in den Griff bekommen. Ist doch keine Lösung beim kleinsten Problem nach der Flasche zu greifen.

  2. Ich finde es gut, dass Esther zur Polizei gegangen ist und ich denke, dass Eric nix mit der Tussi aus der Bar hatte. Ich glaube die sind nur zusammen im Bett eingeschlafen.

  3. Naja, die Wahrheit tut erstmal weg. Aber eine Beziehung sollte auf einem stabilen Fundament gebaut werden, deshalb gibt es für Erik keine Alternative. Irgendwie tut er mir leid. Dieser Kerl ist irgendwie wie ein großes Kind, deshalb kann man ihm eigentlich gar nicht böse sein. Er muss halt noch sooo viel lernen. Bei Ester ist er da genau richtig. Sie ist schon erwachsen und hat gelernt Verantwortung für Ihre Entscheidungen zu übernehmen. Ich hoffe der Lernprozess geht zügig voran.

  4. Naja, die Wahrheit tut erstmal weh!! Aber eine Beziehung sollte auf einem stabilen Fundament gebaut werden, deshalb gibt es für Erik keine Alternative. Irgendwie tut er mir leid. Dieser Kerl ist irgendwie wie ein großes Kind, deshalb kann man ihm eigentlich gar nicht böse sein. Er muss halt noch sooo viel lernen. Bei Ester ist er da genau richtig. Sie ist schon erwachsen und hat gelernt Verantwortung für Ihre Entscheidungen zu übernehmen. Ich hoffe der Lernprozess geht zügig voran.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back To Top