Esther – 86

Esther – 86

 

Eric wirkte so gelöst, wie er da saß und dem Koch dabei zusah, wie der seiner Arbeit nachging. All die Anstrengung des Abends schien von ihm abzufallen und es war schön, ihn so zu sehen.

„Warum ist Harry ein Teil von dir?“, frage ich leise, weil ich nicht wusste, ob es Eric unangenehm war, es vor ihm auszusprechen. „Und welcher Teil genau?“

Eric grinste und beugte sich zu mir. „Frag ihn doch.“

Ich runzelte die Stirn, ließ mir das aber nicht zweimal sagen. Schnell stand ich auf und wanderte zum Tresen. Harry summte gerade eine Version von „What a wonderful world“, während er mit einem nassen Lappen über die Arbeitsplatte wischte. Ich hätte ihm ewig dabei zusehen können, die Art, wie er summend den Tresen reinigte hatte irgendetwas Schönes an sich.

„Du tust ihm gut“, sagte er, ohne zu mir hochzusehen und ich lächelte automatisch.

„Danke“, sagte ich nur.

„Lass dich nicht von seinen Dämonen vertreiben, sie werden es versuchen, aber lass das nicht zu, Mädchen“, fügte er hinzu und sah zu mir hoch. Seine grünen Augen waren klar und schienen mir direkt ins Herz zu sehen.

„Ich versuche es“, sagte ich zögerlich, weil ich mit so etwas gerade eben nicht gerechnet hätte.

„Die Verletzungen sitzen tief“, machte Harry weiter und blickte über meine Schulter kurz zu Eric. „Aber er ist ein guter Junge.“

„Das ist er“, entgegnete ich und es kam mir so vor, als wäre Harry einer der wenigen Menschen, die Eric kannten.

Ich setzte mich auf einen der Hocker an dem Tresen. „Wie haben Sie sich kennengelernt?“, wollte ich wissen.

Harry lachte. Es war ein lautes, schallendes Lachen. „Du hast es ihr nicht erzählt?“, fragte er Eric.

„Nein“, antwortete er und ich drehte mich kurz zu ihm um. Er aß genüsslich seinen Hamburger und saß mit dem Rücken zu uns.

„Damals war er noch ein kleiner Niemand, also für die Welt, für mich nicht“, fing Harry an zu erzählen. „Er war noch nicht Eric Adams, sondern ein Junge, der seinen Weg noch nicht gefunden hatte. Er kam eines Tages rein, ganz abgemagert und verwahrlost, und hat gefragt, ob er hier Musik machen soll.“ Harry hielt kurz inne. „Zuerst wusste ich nicht, ob er mich verarschen will, aber als er seine Gitarre rausgeholt hat und mir irgend so einen Song vorgespielt hat, wusste ich, dass er mich verarscht.“

Irritiert sah ich Harry an.

„Na, der Song“, erklärte dieser und seine Stimme wurde lauter, „irgend so ein selbstgeschriebenes Zeug, voll für den Arsch.“

Voll für den Arsch ist mein erster Nummer 1 Hit geworden“, mischte sich Eric von hinten ein.

„Ist mir egal. Ich kann den Song noch immer nicht leiden“, murrte Harry und zwinkerte mir zu.

„Das sagt er nur“, behauptete Eric hinter mir. „In Wirklichkeit liebt er den Song.“

„Blödsinn.“

„In Wirklichkeit summt er ihn, sobald wir das Diner verlassen haben“, sagte Eric, der sich nun etwas zu uns umgedreht hatte und den letzten Bissen seines Burgers aß.

„In Wirklichkeit hat das Diner schon längst geschlossen“, bemerkte Harry trocken und zog einen Whiskey unter der Theke hervor, um sich ein Glas einzuschenken.

„Willst du auch?“, fragte er mich.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“

„Jetzt gefällst du mir noch besser“, grinste Harry und nahm einen Schluck von seinem Glas.

„Baggere sie ja nicht an“, drohte Eric.

„Ich tu, was ich will, Kleiner“, antwortete Harry. „Wenn ich einmal loslege, hast du keine Chance.“

„Deswegen sollst du sie ja auch nicht anbaggern“, erwiderte Eric und ich schmunzelte. Es fühlte sich gut an, hier mit den beiden zu sein, und nachdem ich mich vorher bei der Premiere so fehl am Platz gefühlt hatte, genoss ich es nun einfach nur, hier zu sitzen und den beiden zuzuhören, wie sie sich gegenseitig aufzogen.

„Also“, sagte ich, „um nochmal auf das erste Kennenlernen zurückzukommen – Eric hat den Song gespielt und wie ging es weiter?“

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