Esther – 90

Esther – 90

„Es war so unglaublich“, schwärmte Flo von der Premierenfeier. „Diese ganzen Promis, die alle so hübsch aussahen und ich … also wir mittendrinnen.“

Schon auf dem Weg zum Café kannte Flo nur ein Gesprächsthema: die Premierenfeier.

Sie war wie Cinderella, die vom Ball zurückgekommen war. Nur hatte sie anscheinend beide Schuhe verloren.

Ich öffnete die Tür zum Café und wir ließen uns auf zwei bequemen Sofastühlen nieder. Da ich am Wochenende nicht zum Einkaufen gekommen war, war mein Kühlschrank leer und so hatten wir spontan beschlossen, in unser Lieblingscafé zu gehen.

„Was wollt ihr trinken?“, fragte die Bedienung.

„Zwei Chai Latte. Moment. Für mich ein Wasser und für sie einen Chai“, bestellte Flo.

Die dunkelhaarige Kellnerin nickte und ging dann zu einem jungen Mann, der sie zu sich winkte.

„Ein Wasser?“, fragte ich und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich muss schließlich auf meine Figur achten. Immerhin gibt es aktuell zwei Interessenten.“

„Zwei Interessenten?“, fragte ich und zog mir den blauen Pulli aus, da es in dem Café ziemlich warm war. „Das klingt ja wie bei einem Hausverkauf.“

„Nun in Wahrheit ist das doch gar nicht so unterschiedlich“, bemerkte Flo und band sich ihre Locken zu einem Zopf zusammen.

„Das musst du mir jetzt aber erklären“, sagte ich und war mir nicht sicher, ob es klug war, das Haus-Kauf-Thema zu vertiefen.

„Na, es ist wie beim Häuserkauf“, sagte sie und es klang als würde sie in einen längeren Vortrag einsteigen. „Wenn du Single bist dann bist du auf dem Markt erhältlich. Auf einem Markt, auf dem Angebot und Nachfrage das Geschehen bestimmen. Leider ist es am Singlemarkt immer so, dass es viele gute Frauen, aber wenig gute Männer gibt.“

„Aha“, sagte ich nur und lauschte ihren Worten.

„Also“, erklärte Flo weiter. „Aber ab und an gibt es ein besonderes Schmuckstück“, sie deutete selbstbewusst auf sich selbst, „für das es mehrere Interessenten gibt.“

„In deinem Fall Simon und Chris.“

„Korrekt“, pflichtete mir Flo bei, „das ist natürlich für das Objekt der Begierde eine schöne Situation. Weil gewählt werden kann.“

„Und wie wählst du?“, fragte ich, als die Kellnerin kam und eine Tasse Chai auf den Tisch stellte, daneben Flos Wasser. Dann ging sie lächelnd wieder.

Flo trank einen Schluck aus ihrem Glas. „Das muss ich noch nicht entscheiden, so etwas muss natürlich gut getestet werden. Schließlich will ich das Haus nicht jedem verkaufen, und sicher nicht dem Erstbesten.“

„Bedeutet was?“

„Dass ich mir die Interessenten genauer ansehen muss. Und da mich beide nach meiner Nummer gefragt haben, werde ich mir die zwei auch schon bald genauer ansehen.“

„Um zu sehen, ob sie als Hauskäufer in Frage kommen?“ Ich schmunzelte.

Flo nickte und grinste übers ganze Gesicht. „Genau. Und das Haus muss natürlich gut in Schuss sein, daher“, sie deutete auf das Glas Wasser in ihrer Hand, „habe ich beschlossen, in nächster Zeit auf Süßes zu verzichten. Bedeutet kein Chai Latte, keine Schokolade und auch keine Bonbons. Und keinen Zucker am Abend, sprich ab ungefähr 17 Uhr.“

„Du könntest das Haus natürlich auch renovieren“, gab ich zu bedenken, einfach nur weil ich den Vergleich lustig fand.

„Stimmt, das könnte ich auch noch in Betracht ziehen“, erwiderte Flo.

„Das war nur ein Scherz.“

„Aber gar keine so schlechte Idee. Was hältst du von Maniküre, Pediküre, Waxing? Morgen? Ich kenne da einen Laden mit einer alten Asiatin, da bekommen wir sicher noch einen Termin.“

„Ich weiß nicht“, sagte ich und verfluchte mich dafür, dass ich die Renovierungsidee überhaupt aufgebracht hatte. „Das brauchst du doch gar nicht, Flo“, sagte ich, in dem Versuch, die Schönheitsprozedur abzuwehren.

Flo neigte den Kopf. „Aber schaden kann es auch nicht, schließlich werde ich in den nächsten Tagen einige Dates haben.“

„Haben sie sich denn schon gemeldet?“, wollte ich wissen.

Sie nickte. „Ja“, sagte sie, „selbstverständlich. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich zwischen den beiden ein echter Wettkampf entspinnen könnte.“

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