Esther – achtzehn

Esther – achtzehn

„Die Regeln für Speeddating sind denkbar einfach“, erklärte Clark weiter und klatschte noch einmal ausdrucksvoll in die Hände. „Ihr habt zehn Minuten mit jedem Teilnehmer. Ich rate euch: Nutzt diese Minuten gut, denn sie sind schneller um, als ihr denkt. Sobald das ,Kling‘ ertönt“, er deutete auf eine kleine Glocke in seiner Hand, „rutschen die Herren einen Stuhl nach links weiter. Schließlich seid ihr Gentlemen und die Frauen dürfen sitzen bleiben.“ Er lächelte kurz und tippte sich auf seine Schirmkappe.

„Seid ihr bereit für die große Liebe?“, fragte er. „Dann lasst uns beginnen. Einen Tipp gebe ich euch noch: Lasst euch fallen, seid wie ihr seid. Fragt Dinge, die euch spontan einfallen – traut euch – denn in der Liebe muss man schon mal was riskieren. Und jetzt geht’s los!“

Clark verstummte und einige der Teilnehmer rückten unruhig auf ihren Stühlen herum, während die ersten zaghaften Gespräche begannen und der Geräuschpegel im Raum anschwoll.

„Hallo, ich bin Ken“, sagte der Typ mit den tiefen Geheimratsecken und dem Muttermal über der Lippe. „Aber du kannst sicher auch lesen“, erklärte er schief lächelnd und deutete auf sein Namensschild. Ken trug ein Shirt, auf dem „Ihr Name ist Wodka und wir führen eine Wochenendbeziehung“ stand, und eine karierte Hose.

Ich nickte und zeigte ebenfalls auf mein Kärtchen, Smalltalk war nun mal nicht meine Stärke. Und die T-Shirt Auswahl schien nicht Kens Stärke zu sein.

„Esther, was für ein schöner Name. Meine Mutter heißt auch Esther“, erklärte er. „Ich meine, nicht, dass das wichtig wäre.“

„Deine Mutter?“, fragte ich und nippte an meinem Wein. Es würde ein langer Abend werden, das war mir klar.

„Nein, also ich bin keiner von den Typen, die jemanden wie ihre Mutter suchen – das wollte ich nur sagen. So kaputt bin ich nicht.“

„Das ist schon mal gut“, antwortete ich und lächelte. Eine unangenehme Pause entstand.

„Hast du denn ein gutes Verhältnis zu deiner Mutter?“, fragte ich, einfach nur um irgendetwas zu sagen. Denn alles war besser, als die erdrückende Stille.

Ken nickte. „Ja, sonst würden wir es auch nicht gemeinsam aushalten. Immerhin haben wir eine WG.“

Meine Stirn legte sich in Falten. „Ihr habt eine WG? Zusammen?“

„Das ist total gut“, sagte Ken und den Rest unserer Zeit sprach er nur über die Vorteile, die es mit sich brachte, wenn man mit dreißig noch mit seiner Mutter zusammen wohnte, und ich war mir während der gesamten Unterhaltung, die recht einseitig verlief, nicht sicher, ob die erdrückende Stille nicht doch die bessere Wahl gewesen wäre.

„Hallo, ich bin Henry“, sagte ein rundlicher Typ im Anzug und mit dunklem Seitenscheitel, als das Speeddating in die zweite Runde ging und ich mich von Ken verabschiedet hatte. Henry roch nach einem starken Männerparfüm, so als wäre er wie Obelix in einen Topf gefallen. Nur war es bei ihm kein Zaubertrank, sondern irgendetwas Herbes mit einer starken Prise Vanille.

„Ich bin Esther“, sagte ich hustend und deutete auf mein Namensschild.

„Das ist das erste Mal, dass ich so etwas mache“, begann Henry und nahm einen Schluck aus dem Weinglas, das er mitgebracht hatte.

„Ich mache so etwas sonst auch nicht“, versicherte ich. „Meine Freundin hat mich dazu verdonnert.“ Mein Magen knurrte schon wieder und ich griff instinktiv nach ein paar Nüssen aus der Schüssel vor uns.

„Was für eine nette Freundin“, sagte Henry und begann, den Sitz seines Seitenscheitels zu kontrollieren. „Also ich meine das nicht abwertend, du hast sicher eine supernette Freundin, die sich um dein Wohl sorgt. Ich hätte auch gerne so eine Freundin.“ Er machte eine kurze Pause und holte tief Luft. „Also ich meine, eine Freundin-Freundin, natürlich nicht deine Freundin. Und natürlich hätte ich auch gern eine normale Freundin, also so eine wie dich.“ Er griff nach den Nüssen und nahm dann gierig einen Schluck Wein. „Mann, bin ich nervös.“

„Hätte ich gar nicht bemerkt“, sagte ich und lächelte. Auch wenn Henry nicht mein Typ war, fand ich seine Nervosität irgendwie sympathisch.

„Du hast schöne Zähne“, sagte er. „Also nicht nur Zähne, du bist auch sonst sehr hübsch, deswegen bin ich froh, dass ich jetzt bei dir sitze. Denn die Dicke da drüben“, er deutete auf eine Frau drei Tische rechts von uns, „mit der möchte ich mich nicht wirklich unterhalten, das bringt doch nichts. Du verstehst das, oder? Kein Wunder, dass die alleine ist. So wie die aussieht.“ Er grinste breit und feine Schweißperlen rannen ihm die Schläfe entlang. Ich schluckte. War es eine typisch männliche Eigenschaft, sich zu überschätzen? Hatte Henry schon mal einen Blick in den Spiegel geworfen?

„Wenn man mit der Sex hat“, machte Henry ungeniert weiter, „dann muss man darauf achten, dass man oben ist, verstehst du?“

Ich schüttelte den Kopf. „Das ist total gemein, Henry“, sagte ich. „Jetzt weiß ich zumindest, warum du noch alleine bist.“

Henry wurde schlagartig rot. „Ich habe dich doch nicht beleidigt, oder? Oder – verdammt, ist das deine Freundin? Hat die dich hierher geschleppt?“ Er sah mich unsicher an. „Mann, das tut mir leid, ich bin einfach so nervös.“ Er schielte auf mein Namensschild, da er meinen Namen anscheinend wieder vergessen hatte, vielleicht suchte er aber auch Halt im Anblick meines Busens. „Was ich sagen wollte, Esther, deine Freundin ist sicher total nett. Also innerlich.“

„Innerlich? Aha“, sagte ich nur und hoffte, dass die zehn Minuten langsam um waren.

Flo, verdammt Flo – wo hatte sie mich da nur hineingeritten? Das waren doch erst zwei Speed-Dates, und die waren schon furchtbar – wie viel schlimmer würde es dann noch werden?

Henry griff mit seinen wulstigen Fingern in die Schale mit den Nüssen und stopfte sich eine große Portion hinein.

„Esther, wollen wir Nummern austauschen?“, fragte er. „Ich weiß, es ist jetzt etwas forsch, ich kann auch nett zu deiner Freundin sein, wenn du möchtest“, erklärte er und fasste sich im nächsten Moment an den Hals. „Ist es heiß hier? Oder warum schwitze ich so?“ Er lockerte seinen Krawattenknoten während sich seine Atmung beschleunigte und er zu hecheln anfing.

„Verdammt, ich bekomme keine Luft“, keuchte er und fiel im nächsten Moment vom Sessel.

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