Esther – 51

Esther – 51

„Fuck.“ Er atmete tief ein und linste über das Geländer. „Fuck, ist das hoch.“

Ich musste lachen, obwohl mir selbst die Knie zitterten. Unauffällig wischte ich meine Handflächen an meiner Jeans ab und trat neben ihn. Der Ausblick von dem Bungee-Kran war überwältigend. Vor uns breitete sich ein Bergpanorama aus, wie ich es sonst nur von den Fotostrecken aus Zeitschriften wie National Geographic kannte. Ein glitzernder See lag eingebettet zwischen zerklüfteten Felsen und hoch über uns drehte ein Raubvogel am wolkenlosen blauen Himmel seine Runden.

„Du wolltest doch einen Punkt von meiner Liste erfüllen“, flüsterte ich Eric zu, der sich gerade durch seine schwarzen Haare fuhr und so aussah, als ob er die ganze Idee heftig bereute. Seine blauen Augen richteten sich auf mich und sofort gesellte sich zu dem Kribbeln, das ich angesichts unseres nahenden Bungee-Sprunges verspürte, noch jenes, das von der Erinnerung an unsere letzte Nacht herrührte.

„Etwas total Verrücktes tun? Den könnten wir auch anders erfüllen“, erwiderte er mit einem unwiderstehlichen Lächeln.

„Bereit?“, fragte in dem Moment unser Teamer und stellte sich hinter uns. Es war ein braungebrannter Typ mit einem blonden Ziegenbart und einem sympathischen Lächeln.

„Yep“, sagte ich.

„Klar“, stieß Eric hervor.

„Super“, grinste unser Teamer und ich musste einfach zurücklächeln. Seine gute Laune war irgendwie ansteckend. „Gleich geht es los. Ihr werdet euch etwa zwei Sekunden im freien Fall befinden. Versucht, eure Körper beim Absprung zu strecken – und lasst einander auf dem Weg nach unten nicht los.“

Ich nickte und stellte mich knapp vor Eric. Links neben mir befand sich der Abgrund und die Kante war nur wenige Zentimeter von meinen Füßen entfernt. Ich spürte die Gurte um meinen Körper, genauso wie das Gewicht des Bungee-Seils, das an den Fußmanschetten befestigt war. Mein Herz schlug so schnell und laut, dass es in meinen Ohren dröhnte. Dennoch wusste ich, dass ich das hier wollte. Auf meiner Liste stand: Tu etwas Verrücktes. Und das hier war verrückt. Ich würde mich gleich mit Eric gemeinsam hundert Meter in die Tiefe stürzen. Allerdings war es noch harmlos im Vergleich zu der Entscheidung, einen weltberühmten Rockstar zu daten. Da ich mir noch immer nicht ganz sicher war, ob ich den ganzen Medienberichten und Paparazzi gewachsen war, schob ich den Gedanken kurzerhand beiseite – wie so oft in den letzten Tagen.

„Verdammte Scheiße“, murmelte Eric bei einem weiteren Blick nach unten und sah so nervös aus, wie ich mich beim Karaokesingen gefühlt hatte.

„Du wirst mir jetzt aber nicht auf die Füße kotzen?“, fragte ich amüsiert und versuchte, meine eigene Angst vor dem Absprung zu vergessen.

Eric schluckte nur und schüttelte den Kopf.

„Ihr könnt euch jetzt umarmen. Habt ihr noch Fragen – oder letzte Worte?“, wollte unser Teamer wissen und wir verneinten beide. Dann war Eric mit einem Schritt bei mir und legte seine Arme um mich. Ich rückte ganz nah an ihn heran und schloss für einen Moment die Augen. Dabei atmete ich tief seinen Duft ein. Selbst in hundert Metern über dem Boden fühlte ich mich bei ihm sicher und geborgen.

„Wieso tun wir das nochmal?“, fragte er mich leise ins Ohr.

Ich lächelte. „Jemand hat mir einmal gesagt, dass man nur springen muss – und dann sieht man schon, was passiert. Entweder es wachsen dir Flügel … oder du landest auf dem Boden. Und ich möchte endlich fliegen, Eric.“ Ich blickte zu ihm hoch und begegnete seinem Blick. Ich wusste nicht, was er dachte, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde er mich verstehen.

Die Mitarbeiter vom Bungee-Team kontrollierten in der Zwischenzeit noch ein letztes Mal den Sitz unserer Gurte, dann erhob der Typ mit dem blonden Ziegenbart die Stimme. „Macht euch bereit, Leute!“

Mein Herz machte einen Satz und ich klammerte mich an Eric, dem gegenüber ich eben noch so großspurig verkündet hatte, dass ich endlich fliegen wolle.

Nun war es soweit, und ich machte mir beinahe in die Hosen vor Angst.

In dem Moment hörte ich schon die Stimme unseres Teamers:

„Fünf, vier, drei, zwei, eins … Bungee!“

4 thoughts on “Esther – 51

  1. Ich habe ja euer Buch „Groupie wider Willen“ ungefähr bei Kapitel 48 gekauft und war dort logischerweise ziemlich schnell am Ende angelangt. Das war mir aber klar, ich wollte nur endlich wissen, ob die beiden zusammen kommen.

    Schönes Ende. Und umso schöner, dass es nun noch ein wenig weiter geht und ich wieder zweimal in der Woche eine E-Mail bekomme, auf die ich mich total freue und für die ich alles, was ich gerade mache, stehen und liegen lasse 🙂

    Danke und liebe Grüße

  2. Ich liebe eure Bücher. Nachdem ich „Groupie wider Willen“ gelesen habe, habe ich mich auf euren Blog geschaltet. Ich freue mich jedes Mal über eure E-Mail und über die kurzweiligen Geschichten.
    Nun habe ich auch noch den 9. Band von „Acht Sinne“ gelesen. Es war soooo schön. Ich kann immer gar nicht aufhören, zu lesen.
    Macht einfach weiter so. Ich habe schon lange nicht mehr so viele Bücher hintereinander von einem Autor/ Autorenteam gelesen und soviel Unterhaltung dabei erfahren.
    Vielen Dank dafür.
    Ganz liebe Grüße sende ich euch.

  3. Liebe Dukatz,

    vielen Dank für das wunderbare Feedback!!
    Es freut uns riesig, dass dir unsere Bücher gefallen und das motiviert uns auch, immer weiterzuschreiben 🙂
    Wir wünschen dir ein wunderbares Wochenende!
    Alles Liebe, Carmen & Ulli

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