Esther – sechs

Esther – sechs

„Der Boss sieht schlimmer aus, als er ist“, sagte Greg, als er die Bohnen nachleerte, die ihren typischen Kaffeeduft verströmten.

„Anscheinend wird in dieser Stadt gerne vom Aussehen auf den Charakter geschlossen“, erwiderte ich.

Greg zog die Augenbrauen zusammen. „Wie bitte?“

Ich dachte an meine missmutige Nachbarin, die mir seit unserem Zusammentreffen noch zwei Mal im Flur begegnet war und mit der ich kein weiteres Wort gewechselt hatte. In ihrer Gegenwart benahm ich mich jetzt besonders leise.

„Ach, nichts“, sagte ich und hörte Greg zu, wie er mir die Kaffeemaschine und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Heißgetränken erklärte.

„Ich mag eigentlich keinen Kaffee“, gestand ich irgendwann, als ich mir die grüne Schürze umband.

„Das wird sich ändern“, sagte Greg und lächelte.

„Glaube ich nicht“, erwiderte ich und zuckte mit den Achseln. „Aber wer weiß.“

Ein gepflegter Typ kam an den Tresen und bestellte einen Latte Macchiato mit extra Milch und extra Zucker. Ich sah Greg bei der Zubereitung des Getränks zu und bemerkte den längeren Blick, den mir der Kunde beim Hinausgehen zuwarf.

„Ich habe anfangs auch nichts getrunken“, setzte Greg unsere Unterhaltung übergangslos fort und stockte. „Also – du weißt schon, wie ich das meine. Ich rede von Kaffee, nicht von Alkohol.“ Unsicher fuhr er sich durch die hellbraunen Haare.

Ich lachte. „Ich hab’s schon verstanden.“

„Sorry, in Gegenwart einer schönen Frau werde ich immer etwas nervös.“

Ich runzelte die Stirn.

„Das soll jetzt keine Anmache sein, keine Sorge. Sondern eine Erklärung, falls ich bei dem nächsten Topmodel, das hier reinspaziert, den falschen Kaffee serviere.“

„Heißt das, dass ich mich um die gutaussehenden Frauen kümmern soll?“, fragte ich schmunzelnd.

Greg schüttelte den Kopf. „Nein, also so war das auch wieder nicht gemeint“, erklärte er gedehnt und grinste breit. „Schließlich ist es doch wichtig, dass man sich weiterentwickelt.“

***

Auf dem Weg nach Hause taten mir die Füße weh und ich gestand mir ein, dass ich den neuen Job im Coffeeshop ein wenig unterschätzt hatte. So einfach es auch gewesen war, ihn zu bekommen – ich war es einfach nicht gewohnt, zehn Stunden am Stück zu stehen.

Fröstelnd klappte ich den Kragen meines Mantels hoch, während der nächtliche Regen in mein Gesicht prasselte. Natürlich hatte ich auch keinen Regenschirm dabei, weil ich am Morgen so schnell wie möglich aus meiner stinkenden Wohnung geflohen war, da ich vor meiner ersten Schicht im Café auch noch ein Anmeldeformular in der Uni vorbeibringen musste und sowieso schon spät dran gewesen war. Irgendwie hatte ich immer nur darüber nachgedacht, wie unglaublich aufregend das neue Leben in der Stadt sein würde – aber jetzt kam ich dahinter, dass es vor allem unglaublich anstrengend war.

Während ich müde durch die beleuchteten Straßen lief, zog ich mir die Kapuze meines Mantels tief ins Gesicht und beschleunigte meine Schritte. Im selben Moment begann es auch noch zu donnern und ich hätte das leise Geräusch beinahe nicht gehört. Es war nicht mal ein „Miau“, es war mehr ein sich wiederholendes „Mi“ und es gehörte einer schwarzen Katze, die sich hinter einer Regentonne versteckte.

Ich blieb stehen und ging in die Knie. „Hey, was machst du denn da?“, fragte ich.

Die Katze duckte sich und sah mich aus ihren grünen Augen an. „Bist du ganz allein?“, fragte ich weiter und streckte die Hand nach ihr aus, während sie sich ein Stück zurückzog.

„Du musst keine Angst haben“, versuchte ich sie zu beruhigen. Ich lächelte und es dauerte ein paar Minuten, aber irgendwann bewegte sich das Tier vorsichtig in meine Richtung. Langsam strich ich ihr über das schwarze Fell, das sich nass und kalt anfühlte, während die Katze mit ihrem Näschen an mir schnupperte. Dann begann sie sich an meine Hand zu schmiegen und leise zu schnurren. Wahrscheinlich fühlte sie sich genauso einsam wie ich, dachte ich und hob sie hoch, um uns beide ins Trockene zu bringen.

***

Das Erste was ich sah, als es an der Tür klingelte, waren ihre rotblonden Locken.

„Esther, mach auf. Ich weiß, dass du da drin bist“, sagte Flo und grinste, als ich ihr die quietschende Tür öffnete. In der einen Hand hielt sie eine Champagnerflasche, in der anderen einen Korkenzieher.

„Wie wär’s mit einer spontanen Einweihungsparty?“, fragte sie und betrat meine kleine Diele, von der aus sie direkt in mein Wohnzimmer und die Küche sehen konnte. „Oder feiern wir etwa schon wieder deinen Auszug?“, fragte sie weiter, während sie die grauen Wände taxierte, die voller Wasserflecken waren. „Was ist denn das für eine Bruchbude?“

„Ich weiß“, sagte ich matt, „aber die Stadt ist so teuer, dass ich mir nichts besseres leisten kann. Ich war schon froh, überhaupt irgendetwas zu finden.“

Flo steuerte ins Wohnzimmer. „Irgendetwas trifft es ziemlich gut“, erklärte sie und ließ sich auf der abgewetzten Couch nieder. „Hast du etwa über das Internet gesucht?“

Ich nickte stumm.

„Na ja, wenigstens sehen die Möbel ganz okay aus“, meinte Flo und ließ ihre Augen über die Einrichtung schweifen. „Ist das dein neuer Mitbewohner?“, machte sie dann mit ihren Fragen weiter und deutete auf den schwarzen Kater, der gerade eine Dose Thunfisch futterte.

„Ich habe ihn Newton getauft“, erklärte ich.

Flo seufzte. „Auf dich werde ich echt aufpassen müssen. Dass du so schnell einen Mann anschleppst“, feixte sie, zog sich ihre Jacke aus und legte ihre Beine auf den Couchtisch. „Aber wahrscheinlich wurde der kleine Kerl hier vom Fischgestank angezogen. Wer kann es ihm verübeln.“

„Ich habe schon den ganzen Tag gelüftet. Und es ist schon viel besser als vorher“, erklärte ich. „Außerdem – mit ein bisschen Farbe und wenn ich endlich all meine Sachen ausgepackt habe …“

„Du bist motiviert, das gefällt mir. Darauf sollten wir anstoßen, oder?“, fragte Flo, und entkorkte den Champagner während ich zwei Gläser aus einem Umzugskarton kramte. Flo schenkte uns ein und wir prosteten uns zu.

„Auf deine neue Fischwohnung“, sagte sie.

„Auf meine neue Fischwohnung“, wiederholte ich, „und einen Neuanfang.“

 

Wenig später waren wir schon etwas angetrunken und erzählten uns Geschichten aus unserem Leben. Flo nahm die Sache mit den Männern nicht allzu ernst und erklärte, dass Mike ihre neue Affäre werden könnte, wenn er es nicht gleich am Anfang verkackte. Tim bezeichnete sie als blödes Schwein und ich fühlte, wie mir die Erinnerung an ihn noch immer wehtat. Glücklicherweise ließ mir Flo aber gar keine Zeit, Trübsal zu blasen, denn sie plapperte immer weiter und berichtete von ihren schlimmsten und peinlichsten Erfahrungen mit irgendwelchen Jungs. Irgendwann kicherten wir nicht mehr, sondern lachten nur noch laut, als ein energisches Klopfen von unten erklang.

„Was ist das?“, fragte Flo und blickte sich um. „War das die Katze?“

Ich schüttelte den Kopf. „Meine Nachbarin. Sie mag keine lauten Geräusche.“

„Oh“, machte Flo gespielt entsetzt. „Ich verstehe. Dann sollten wir unser furchtbares Lachen mit Musik übertönen.“ Sie zog ihr iPhone aus ihrer Umhängetasche und tippte kurz darauf herum.

„Kennst Du den Song, ich liebe ihn“, schwärmte sie, als die ersten Takte einsetzten. Ich nickte und schloss für einen kurzen Moment die Augen. „Den habe ich im Radio gehört. Klingt irgendwie traurig.“

„Der Typ, der den singt, dieser Eric …“, Flo seufzte sehnsüchtig und lächelte verklärt. „Esther, ich sage dir – der ist sowas von heiß.“

2 thoughts on “Esther – sechs

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back To Top