Esther – siebzehn

Esther – siebzehn

Ich hatte echt keine Ahnung, warum ich mich von Flo zu dem Schwachsinn hatte überreden lassen. Nein, natürlich wusste ich es, als ich mit einem Glas Rotwein in dem Hinterzimmer des italienischen Restaurants saß. Es war beinahe unmöglich, Flo etwas abzuschlagen, wenn sie sich eine Sache in den Kopf gesetzt hatte – und ich hatte die absurde Hoffnung, dass sie, wenn ich einmal nachgab, endlich mit ihren Verkupplungsversuchen aufhören würde. Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Selbstverständlich hatte Flo auch bei der Wahl meines Outfits ein Wörtchen mitzureden gehabt und ich zog das schwarze Kleid, das für meine Begriffe viel zu kurz war, auf dem gepolsterten grauen Stuhl etwas nach unten.

Als sich der von Kerzenlicht erhellte Raum langsam mit nervösen und weniger nervösen Frauen und Männern füllte, die ihre Hände kneteten, ihren Blick über die Anwesenden gleiten ließen oder sich ganz lässig auf einen Stuhl setzten, überlegte ich, einfach aufzustehen und zu gehen. Das wäre dann wohl das schnellste aller Speeddating-Dates gewesen. Ich könnte mich davonstehlen, vielleicht ins Kino gehen und Flo dann von einem tollen Abend berichten, den ich mit Hugh Jackman verbracht hatte (was waren schon ein paar Minuten mit unterschiedlichen Typen, wenn man 120 Minuten mit ihm genießen konnte). Aber irgendwie brachte ich es nicht übers Herz, vor allem nicht, nachdem sich Flo schon so auf das Speeddating gefreut hatte – obwohl sie gar nicht anwesend sein würde. Ich atmete tief ein. Verdammt, Flo, was machte ich hier nur?

Die acht kleinen schwarzen Tische, die in dem romantisch dekorierten Raum nebeneinander aufgestellt worden waren, waren bald besetzt, bis auf einen. Und das war leider genau der Platz gegenüber von mir. Großartig, was für ein Start. Wenn sich hier nicht bald einer hinsetzen würde, könnte ich die erste Runde zumindest Selbstgespräche führen, na prima. Ich spielte nervös an dem Ring von meiner Großmutter und schielte zu den anderen Teilnehmern hinüber. Die Frauen saßen alle auf der Seite Richtung Fenster, die Männer auf der gegenüberliegenden Seite. Eine hübsche Dunkelhaarige mit tiefem Dekolleté hatte ganz am Rand Platz genommen – SIE hatte kein Problem gehabt, ein Gegenüber zu finden. Außerdem konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass alle Männer in ihre Richtung lechzten, was ich ihnen auch nicht verübeln konnte. Die Frau sah wirklich umwerfend aus.

Ich seufzte leise und erkannte, dass ich heute zu wenig gegessen hatte. Mein Magen machte sich lautstark bemerkbar und gab seltsame Geräusche von sich, zumindest hatte er Lust auf Smalltalk. Die kurzhaarige Frau neben mir warf mir einen kritischen Blick zu, den ich schulterzuckend mit „Muss die Aufregung sein“ beantwortete. Trotzdem war ich froh, als die Musik etwas lauter gestellt wurde und die Kellnerin Schüsseln mit Nüssen auf den Tischen verteilte. Ich kontrollierte noch einmal mein Namensschildchen, das rechts über meiner Brust saß und dessen Fixiernadel hoffentlich nicht den Stoff von Flos Kleid zerstörte.

Die Musik im Raum wurde wieder etwas leiser gestellt. Ein Mann mit tiefen Geheimratsecken huschte schnell in das Zimmer und ließ sich schwach lächelnd gegenüber von mir nieder, als die Tür geschlossen wurde und ich merkte, wie ich nun doch ein wenig nervös wurde.

„So, ihr Lieben“, erklärte ein kleiner Typ mit Schirmkappe, der in die Hände klatschte und beherzt durch den Raum schritt. Seine Stimme klang fröhlich, wie von einem dieser Motivationstrainer. „Mein Name ist Clark und ich heiße euch beim heutigen Speeddating herzlich willkommen – schön, dass ihr alle da seid und den Mut aufgebracht habt, etwas in eurem Leben zu ändern. Nämlich das Wichtigste: die Liebe.“ Er machte eine kurze, gewichtige Pause. „Und ein besonders herzliches Willkommen an unseren Stammgast hier“, sagte er und klopfte einem blonden Typen, der zwei Stühle links von mir saß, auf die Schulter. Der Blonde sah erschrocken drein und blickte sich unsicher um.

„Keine Panik“, machte Clark weiter. „Das war nur ein kleiner Scherz. Wir haben hier keine Stammgäste, denn wir sind in der Auswahl unserer Teilnehmer äußerst gewissenhaft. Wir überlassen nichts dem Zufall.“ Ich runzelte die Stirn. Flo hatte hier alles für mich ausgemacht – wie viel konnte Clark also tatsächlich von mir wissen? Es hörte sich für mich mehr nach einer Verkaufsmasche als nach der Wahrheit an.

Mein Blick glitt über die anderen Teilnehmer und ich fragte mich, wie viele von ihnen heute tatsächlich die große Liebe finden würden.

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