Esther – vierundzwanzig

Esther – vierundzwanzig

„Einmal einen großen Latte Macchiatto, ohne Zucker, mit Sojamilch – aber nicht so heiß wie letztes Mal“, sagte die Rothaarige und ich unterdrückte ein Gähnen. Nicht, weil ich diese Art von Bestellung schon x-Mal gehört hatte, sondern weil das Konzert gestern noch recht lang gegangen war, mit Zugabe hatte die Band über zwei Stunden gespielt. Flo war hin und weg gewesen, jubelte diesem Eric lauthals zu und hatte selbst keine Stimme mehr, als der Frontsänger von der Bühne ging. Danach war sie noch ausgelassener als sonst.

Im Gegenzug zu ihr war ich es jedoch nicht gewohnt so lange wegzubleiben, auch wenn das spießig und für mein Alter vielleicht nicht angebracht war. Doch irgendwie hatte sich die Müdigkeit gelohnt. Es war ein wirklich schöner Abend gewesen und die Musik dieses kaputten Typen hatte mich berührt, sie hatte mich ergriffen und ich war von den Texten und der Art, wie er sang, tief beeindruckt. Nun zahlte ich jedoch den Preis dafür, so wenig geschlafen zu haben. In der letzten halben Stunde hatte ich mindestens zwanzig Mal gegähnt.

„Der Latte kommt sofort“, sagte ich und gab Greg die Bestellung durch.

Greg drehte sich zu mir um. „Soll ich vielleicht für dich übernehmen?“, fragte er. „Du siehst müde aus.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, es geht schon. Oder willst du übernehmen?“

Unauffällig musterte ich die Rothaarige mit den langen glatten Haaren und dem tiefen Ausschnitt.

„Wie war das noch mal … damit du dich weiterentwickeln kannst?“, feixte ich.

Gregs Mundwinkel zuckte und er sah mich intensiv an. „Wenn ich mich weiterentwickeln möchte, dann nicht mit der.“

„Ich hab nicht ewig Zeit“, murrte die Rothaarige und ich nickte.

„Das macht 4,35“, sagte ich, nahm das Geld entgegen und übergab ihr das Wechselgeld. Die Rothaarige ging zur Theke, an der Greg ihr lächelnd das Getränk aushändigte.

Ich blickte mich im Shop um. Es war gerade ziemlich leer und nur einige der Sofas und Sesseln waren besetzt, aber das würde sich bald ändern. Kurz nach Mittag wollten plötzlich alle ihren Koffeinkick und die Schlange würde garantiert bis fast auf die Straße reichen.

„Ich nutz mal die Pause und mach mir einen Kaffee“, sagte Greg und strich sich über seine grüne Schürze. „Willst du auch einen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Noch bin ich nicht zur dunklen Kaffee-Seite übergewechselt.“

Greg lächelte. „Das wird sich bald ändern, das habe ich dir doch schon vor Wochen prophezeit. Keiner kann über kurz oder lang der dunklen Seite widerstehen. Das ist einfach ein Naturgesetz. Du solltet also nicht versuchen, dich zu wehren, sie sind noch alle zu uns gekommen.“ Er grinste mich an und setzte verschwörerisch hinzu: „Aber ich mache dir gerne auch einen Chai Latte, wenn du mich nett fragst.“

„Greg“, sagte ich übertrieben freundlich, „das würdest du tatsächlich tun? Ich hätte jetzt tatsächlich Lust auf einen Chai – wärst du bereit, mir diesen zuzubereiten?“

Er nickte und deutete eine kurze Verbeugung an. „Für Sie Mylady doch immer, stets zu Diensten.“

„Der Kaffee-Ritter, wie reizend“, zog ich ihn auf.

„Der Kaffee-Ritter?“, wiederholte er lachend. „Na ja, der Kaffee-Sitter trifft’s wohl eher. Aber für dich, meine schöne Maid, werde ich auch zum Kaffeeritter.“ Er stellte sich an die Kaffeemaschine und kümmerte sich um die Getränke. Nur wenig später reichte er mir einen Chai in einer großen Tasse während er an einem Milchkaffee schlürfte.

„Also, hast du gestern eine wilde Nacht gehabt?“, fragte er interessiert.

Ich nahm einen Schluck von meinem Chai. „Eine Freundin hat mich auf ein Konzert geschleppt.“

„Auf welches?“

„Auf das von NEBEN.“

Greg verdrehte die Augen. „Da wollen auch alle hin, das kann ich echt nicht verstehen, dieser Typ, dieser Eric ist doch sowas von irre und durch den Wind. Und die Musik … so toll ist die nun auch wieder nicht.“

„Na ja“, sagte ich, „ich fand es eigentlich ganz schön.“

Greg schüttelte vehement den Kopf. „Ich nehm dich mal auf ein richtig geiles Konzert mit, mit richtig guter Musik. Keine schlechte Idee für unser erstes Date, oder?“ Er sah mich herausfordernd an und ich war erleichtert, als die Tür aufging und ein Schwarm Gäste hereinströmte. Somit musste ich nicht auf Gregs Anspielung reagieren – Greg war überhaupt nicht mein Typ und außerdem hatte ich keine Lust auf irgendeinen Typen. Außerdem wollte ich mich auf die Uni konzentrieren.

„Ich hätte gerne einen Caffè Latte mit Milch“, setzte eine hagere Frau mit schwarzem Hut an, während sie auf die Anzeigetafel über mir schielte. „Oder haben Sie Sojamilch? Ja, schön, dann nehme ich Sojamilch – oder warten Sie, vielleicht nehme ich doch lieber die normale Milch mit dem reduzierten Fettanteil … mmmh.“ Sie machte eine kurze Pause und kniff die Augen zusammen. Dann schaute sie mich an, so als müsste ich die Entscheidung für sie treffen. Ich kannte diesen Typ Frau nur zu gut.

„Ich kann Ihnen die Sojamilch sehr empfehlen, die trinke ich selbst auch sehr gerne“, sagte ich freundlich. Die Frau wog den Kopf hin und her, bis sie sich dann endlich für die Sojamilch entschied.

„Einen doppelten Espresso. Kein Zucker“, bestellte ein Typ mit tiefer Stimme nach ihr. Er trug einen dunklen Sweater und eine zerrissene Jeans. Seine schwarzen Haare hingen ihm ins Gesicht und er sah mich zuerst gar nicht an, sondern kramte in seiner Jeans – wahrscheinlich nach Kleingeld oder seinem Handy.

„Das macht 3,40, sagte ich und gab Greg die Bestellung durch und als ich mich wieder umdrehte und sich unsere Blicke trafen und ich in seine blauen Augen sah, klopfte mein Herz auf einmal wie verrückt.

 

 

6 thoughts on “Esther – vierundzwanzig

  1. Endlich treffen sie sich! Ich bin schon so gespannt wie es weiter geht und finde es toll, auch immer aus der Perspektive von Eric zu lesen. Mich würde auch wahnsinnig interessieren, wie die erste Begegnung von Ben und Lee aus seiner Perspektive abgelaufen ist. Band 7 war übrigens auch wieder absolut klasse 🙂 Ich freue mich schon auf die Fortsetzungen von Ben, Lee, Esther und Eric! Liebe Grüße

  2. Liebe Dani,
    ja, endlich ist es soweit!!! Wir wissen, ihr musstet lange warten, aber ihr habt tapfer durchgehalten 🙂
    Und über Bens Perspektive haben wir tatsächlich auch schon mal nachgedacht … mal sehen, ob wir hier irgendetwas aus dem Hut zaubern ;))
    Alles Liebe, Carmen & Ulli

  3. Jetzt ist es so weit, toll, ich freue mich schon so. Ob es Esther und Eric oder Ben und Lee, man hat in der Geschichte das Gefühl, die gehören zusammen. Es ist immer wieder ein Genuss, die Geschichten weiter zu verfolgen. Bitte, bitte schreibt noch viele Geschichten. Einerseits freue ich mich schon auf den nächsten Teil von Lee und Ben, aber anderer seits bin ich traurig 😉 weil es das Ende ist. Ihr schreibt einfach guuut

  4. Endlich haben sie sich getroffen 🙂
    Ich bin ganz zufällig an die Reihe geraten und habe echt nichts anderes mehr nach der Arbeit gemacht als zu lesen! Sooo spannend! Und leider habe ich auch Band 7 viel zu schnell fertig gelesen. Freue mich total auf Band 8!
    An das Ende will ich noch gar nicht denken.
    Liebe Grüße

  5. Liebe Sarah,
    heute geht es gleich weiter 🙂 Wir können gar nicht sagen, wie glücklich uns eure Nachrichten immer machen. Ein fettes Grinsen begleitet uns dann immer über den Tag, danke dafür!!
    Alles Liebe,
    Carmen & Ulli

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