Esther – zehn

Esther – zehn

„Ich will nicht mit dir reden“, sagte ich noch einmal, als Tim mir bis zu meiner Wohnungstür gefolgt war. Was dachte er sich nur? Wie konnte er hier einfach mitten in der Nacht aufkreuzen? Glaubte er wirklich, dass er mit so einer Aktion alles wieder ins Lot bringen konnte?

„Ich habe dir was mitgebracht“, erklärte Tim und deutete auf den Baseballschläger mit der roten Schleife in seiner Hand. „Du darfst auch mehrmals zuschlagen, wenn du möchtest.“

Ich schüttelte den Kopf. „So oft kann ich gar nicht zuschlagen, wie ich es möchte.“

Er grinste schief und rieb sich den Nacken. „Aber du kannst es gerne mal probieren. Komm, fang einfach damit an.“ Er machte einen Schritt auf mich zu und ich wich automatisch zurück.

„Tim, bitte geh jetzt.“

Er straffte die Schultern und seine Augen verengten sich. „Du machst es dir einfach, oder? Du haust einfach ab, lässt dein altes Leben hinter dir und gibst mir nicht einmal die Chance, es zu erklären.“

Hatte er sie noch alle? Zuerst sprang er mit irgendeiner Schwarzhaarigen in die Kiste und dann machte ich es mir einfach?

„Was, bitteschön, willst du mir erklären?“, fuhr ich ihn an. „Ich habe dich mit einer anderen im Bett erwischt. Das ist, glaube ich, Erklärung genug.“

Er seufzte. „Ich sagte doch, dass du es dir einfach machst.“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Nach der Party eben war Tim das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Mein Kopf dröhnte noch immer von der Musik und ich spürte den Alkohol in meinen Beinen, während wir hier im Treppenhaus standen.

„Esther, ich … ich liebe nur dich“, begann er und strich sich durch seine blonden Locken. „Ich hatte einfach Angst, verstehst du? Angst, dass du weggehst, in eine neue Stadt, mit lauter Typen, die dich für sich haben wollen. Ich will gar nicht wissen, wie viele notgeile Studenten dich schon angebaggert haben! Und während bei dir alles neu und aufregend ist, sitze ich zu Hause, mache jeden Tag das gleiche, stehe auf, fahre zur Arbeit, gehe zum Sport, fahre wieder nach Hause – ich führe weiterhin das langweilige Leben, vor dem du weggelaufen bist.“

Ich schnaubte. „Ich bin weggelaufen? Glaubst du ernsthaft, dass es so war?“

Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich gegen das Treppengeländer. „Ich kann es dir noch nicht mal verübeln. Aber glaubst du, dass es leicht für mich ist?“

„Glaubst du etwa, dass es leicht für mich ist?“, fragte ich zurück und drückte den Rücken durch. „Du weißt doch, dass es mir eine Höllenangst macht, hier alleine zu sein und alles neu anzufangen. Es wäre leichter für mich gewesen zu bleiben, Tim, das wäre der leichtere Weg gewesen. Aber ich will Anwältin werden, ich möchte mehr, als in dem Jeansladen arbeiten, bis ich in Rente gehe.“

„Du möchtest mehr als mich.“

Ich presste die Lippen aufeinander und sah mir Tim an, mit seinen schwarzen Jeans und dem blauen Hemd, ich erinnerte mich an das, was wir miteinander erlebt hatten und nie wieder miteinander erleben würden. Wie konnte mir ein Mensch, der mir so nahe gewesen war, plötzlich so fremd erscheinen?

„Ich dachte, du würdest mich kennen. Ich war bereit, mein Leben mit dir zu verbringen, ich war bereit, mit dir alt zu werden – das war mein Wunsch“, sagte ich etwas leiser.

„Aber das können wir noch immer, wir können doch noch immer gemeinsam alt werden“, versuchte er mich zu überzeugen und strahlte mich aus seinen grünen Augen an.

„Jetzt nicht mehr“, sagte ich hart und kramte den Hausschlüssel aus meiner Tasche. Mit zittrigen Fingern steckte ich den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Ich musste hier weg, ich wollte mich von ihm nicht zu irgendetwas überreden lassen. Aber Tim versperrte mir den Weg.

„Geh zur Seite“, sagte ich schroff.

„Ich werde mich nicht so einfach aus deinem Leben schieben lassen“, entgegnete er.

Ich atmete tief ein und sah ihm in die Augen. „Tim, es hat keinen Zweck. Ich will nicht mit jemandem zusammen sein, der sich bei der ersten schwierigen Situation einfach eine andere holt.“ Ich machte eine kurze Pause und schob mich an ihm vorbei durch die Tür. „Vielleicht ist es besser so. Vielleicht hat es so sein sollen.“ Ich schluckte.

„Esther“, meinte Tim, während ich langsam die quietschende Holztür zudrückte, „Esther, das werde ich nicht zulassen!“

Mit voller Kraft stemmte er sich gegen die Tür und knallte mir die Holzkante gegen die Stirn. Ich wich mit einem erstickten Laut zurück. Ein warmes Rinnsal Blut lief mir übers Gesicht.

„Esther, das wollte ich nicht …“, stammelte Tim entsetzt, als ich Schritte im Flur hörte.

„Bürschchen“, hörte ich meine Nachbarin drohen, „du verschwindest sofort oder ich rufe die Polizei. Was für dich noch die bessere Variante wäre, denn mit meinem Besen hier, habe ich schon einmal jemanden kastriert.“

5 thoughts on “Esther – zehn

  1. Ich werde noch wuschig. Wann trifft sie ihn endlich? Gott ist das spannend. Ich liebe diese Vorgeschichte der beiden jetzt schon. ?

  2. Das Esther in der Sinnlichen Welt vorsichtiger wird kann ich voll verstehen. Das sie Wächterin worde ist spätestens jetzt klar. Mal sehen ob sie auch von Eric veräppelt wird 😉

    1. … wir sind schon sehr gespannt, was ihr sagt, wenn Eric und Esther endlich aufeinandertreffen 🙂 Viele Grüße, Carmen & Ulli

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