Esther – einundvierzig

Esther – einundvierzig

Es ging alles so schnell, dass ich es gar nicht wirklich mitbekam. Der bullige Typ mit der Kamera grinste mich dreckig an, im nächsten Moment hatte Eric ihm seinen Fotoapparat ins Gesicht geschlagen und ich sah Blut aus seiner Nase auf den Boden tropfen.

Erics Körper war total angespannt, ich sah die Muskeln unter seinem schwarzen T-Shirt hervortreten und wünschte, ich könnte irgendwas tun, um die Situation zu entspannen. Aber statt dass es besser wurde, kamen noch immer mehr Leute und richteten ihre Handys auf uns. Und als der Typ dann zu schreien begann, weil Eric die Speicherkarte in der Mitte durchgebrochen hatte, wollte ich nur noch weg.

Während der Autofahrt versuchte ich, die Gedanken in meinem Kopf zu ordnen. Eric wirkte unglaublich verärgert und ich wusste nicht, ob es zum Teil auch an mir lag. Hätte ich in der Situation vielleicht anders reagieren sollen?

Ich schluckte und strich mir mit einer fahrigen Bewegung den Rock glatt. Sollte ich vielleicht etwas zu ihm sagen? Ich riskierte einen kurzen Seitenblick. Seine Kieferpartie war angespannt und er sah nicht so aus, als ob er sich unterhalten wollte. Auch sein Fahrstil war aggressiver, er wechselte die Gänge mit mehr Kraft als nötig und ich entschied, ihn jetzt in Ruhe zu lassen und sah aus dem Fenster.

Trotz der gedrückten Stimmung fühlte ich mich sicher bei ihm. Auch auf dem Rummelplatz hatte ich gespürt, dass er bereit gewesen war, mich zu beschützen – und obwohl ich mir den Ausgang des Dates natürlich anders vorgestellt hatte, fand ich das auf eine gewisse Art und Weise auch schön.

Trotz unseres Schweigens war die Fahrt schnell um, und als Eric in zweiter Spur vor meiner Haustür hielt, fühlte ich einen winzigen Stich. Obwohl es scheiße gelaufen war, hätte ich mir doch gewünscht, dass er vielleicht noch einen Sprung rauf kam und wir Gelegenheit hatten, wieder zu einem normalen Umgang zurückzufinden. Aber so wie er da saß und mich nicht einmal ansah, konnte ich mir das wohl abschminken.

„Also dann“, sagte ich leise und versuchte, stärker zu klingen, als ich mich fühlte.

„Bye“, presste er hervor, und es klang echt nicht so, als ob er mich jemals wiedersehen wollte.

Ich lief die Treppen hinauf und kramte gleichzeitig nach meinem Hausschlüssel. Nach dem ersten Halbstock musste ich einen Pause machen, weil mein Körper noch immer geschwächt war und ich spürte mein Herz in einer Geschwindigkeit klopfen, als ob ich gerade mehrere Kilometer gerannt wäre. Etwas langsamer ging ich weiter und dann erreichte ich endlich meine Haustür und sperrte mit zitternden Fingern auf. Die Wohnung wirkte fremd und düster auf mich. Jetzt war ich froh, dass Eric mich nicht begleitet hatte, während mich mein erster Weg ins Wohnzimmer führte, wo ich die Fenster aufriss. Dabei hielt ich automatisch Ausschau nach Newton, bevor mir einfiel, dass er bei meiner Nachbarin war. Flo hatte sich darum gekümmert, nachdem sie erfahren hatte, dass ich im Koma lag und der Gedanke an sie war wie ein Lichtblitz in dieser ganzen verfahrenen Situation.

Ich schlüpfte in meine abgetragene Lieblingsweste und setzte mich im Schneidersitz mit meinem Handy aufs Sofa. Dann rief ich Flo an und noch während es bei ihr klingelte, fühlte ich mich schon besser. Flo war klug, Flo war cool, Flo würde wissen, was zu tun war, dessen war ich mir sicher.

„Hallo?“, meldete sie sich endlich, als ich schon dachte, sie würde nicht mehr rangehen.

„Hey“, murmelte ich. „Ich bin’s.“

Eine kurze Pause entstand.

„Hallo“, wiederholte sie. „Was gibt’s?“

Ihr Ton irritierte mich, er war irgendwie geschäftsmäßiger als sonst.

„Ich hab gerade mein Date mit Eric gehabt“, begann ich und holte Luft, weil ich nicht wusste, wie ich das, was passiert war, in wenigen Sätzen zusammenfassen sollte.

„Ich weiß. Herzlichen Glückwunsch“, erwiderte sie relativ kühl. „Einen Caffè Latte mit Milchschaum“, sagte sie dann zu jemand anderem. „Und einen Schokomuffin.“

„Störe ich dich gerade?“, fragte ich stirnrunzelnd.

Sie schnaufte. „Ich hab mir nur einen Kaffee bestellt, Esther. Ist das erlaubt? Oder erwartest du, dass sich jede beschissene Sekunde des Lebens alles nur um dich dreht?“

6 thoughts on “Esther – einundvierzig

    1. Liebe Bettina, danke für Deinen Hinweis!

      Den Link haben wir uns angesehen, das sollte jetzt wieder klappen 🙂

      Viele Grüße,
      Ulli & Carmen

  1. ich glaube flo ist vielleicht sauer oder eifersüchtig ist das Esther so ein Glück hat und sie nicht. ich mein flo hat schon länger für ihn geschwärmt wobei es bei Esther nur zufall war. ich bin mir nicht sicher aber ich habe die Vermutung das die Freundschaft nicht lange hält:(

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