Eric – siebenunddreißig

Eric – siebenunddreißig

„Du wirst sie also nie wiedersehen. Und warum?“, fragte Chris und beugte sich vor. Seine braunen Augen sahen mich forschend an. Ich kippte den letzten Schluck Whiskey runter und stellte das Glas mit einem Klirren auf dem schwarzen Couchtisch ab.

„Weil jetzt überall die scheiß Paparazzi auf dem beschissenen Krankenhausgelände rumlungern“, gab ich heftig zurück.

„Und das ist ein Grund?“ Chris zog eine Augenbraue hoch.

Ich mochte seinen Blick nicht. Ich kannte niemanden, der so verflucht distanzlos dreinschauen konnte, es erinnerte mich daran, dass er mich kannte, dass Chris der Einzige war, der mich wirklich kannte und dann sah ich Esther vor mir und versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, wenn sie auch alles über mich wüsste.

„Was denkst du?“, fragte Chris.

„Lässt du dir jetzt Titten wachsen?“, fragte ich barsch zurück.

„Wieso? Weil ich wissen will, was in deinem kaputten Sturschädel vor sich geht?“

Ich schnaubte. „Ist das nicht eine typische Weiberfrage?“

Chris lächelte entspannt. „Keine Ahnung. Ist das wichtig?“

Er regte mich auf. Alles an ihm regte mich auf. Die Art, wie er auf dem Ledersofa saß, den operierten Fuß hochgelagert, und mit diesem verfluchten Lächeln im Gesicht, als wäre er Buddha höchstpersönlich und hätte plötzlich den Zugang zur Weisheit, nur weil er dem Tod von der Schippe gesprungen war.

Ich war dem Tod ebenfalls von der Schippe gesprungen und bei Gott, ich hatte trotzdem keinen Plan vom Leben. Ich hatte keinen Plan, wie ich mit Esther weitermachen sollte, ich konnte an nichts anderes denken, konnte nichts anderes machen, als mir ständig ihr Gesicht vorzustellen. Dieser Blick, als sie mich damals angesehen hatte … wow, es war der Wahnsinn gewesen.

„Eric. Rede mit mir.“ Chris sah mich aufmunternd an. „Weißt du noch, unser letztes Gespräch im Krankenhaus? Du hast sie gefunden, Mann. Das ist ein Moment, um verdammt glücklich zu sein.“

„Ich tu ihr das nicht an“, sagte ich tonlos.

„Was willst du ihr nicht antun?“

„MICH!“, schrie ich ihn an. „Sieh mich doch an! Ich bin so verdammt abgefuckt, es ist ein Wunder, dass ich noch immer funktioniere! Was hab ich denn, außer der scheiß Kohle, da ist doch nichts, Chris, nimm die mal weg, dann starrst du in ein beschissenes schwarzes Loch!“

Eine kurze Stille folgte auf meine Worte, in der mich Chris einfach nur betroffen ansah.

„Ich kann doch nicht diese ganze kranke Scheiße in ihr Leben bringen“, setzte ich etwas leiser nach.

„Eric, du musst das nicht tun“, sagte Chris.

„Was muss ich nicht tun?“, fuhr ich ihn an.

Er schüttelte leicht den Kopf und seufzte. „Du musst dich nicht so hassen, Mann. Hey du bist ein Arsch, okay, aber du bist das nicht nur.“

 

Eine Stunde später stand ich vor ihrem Krankenhaus. Die Dunkelheit hatte sich schon über die Stadt gesenkt und obwohl ich genug beschissene Dunkelheit in meinem Leben hatte, war ich ihr zur Abwechslung mal dankbar. Auf die Weise kam ich vielleicht rein, ohne dass mich so eine Hackfresse von Fotograf erkannte.

Mein Handy klingelte, es war Cliff und ich drückte ihn weg. Dreißig Sekunden später bekam ich eine SMS. Sie hatten heute wieder ohne mich geprobt. Und ob ich vorhätte, in diesem Leben noch jemals wieder zu den Proben zu erscheinen.

Ich las die Nachricht, drehte das Handy ab und steckte es in meine hintere Hosentasche. Scheiß auf die Band.

Ohne nach links und rechts zu sehen lief ich quer über den Rasen auf einen Seiteneingang des Krankenhauses zu. Ein paar Meter davon entfernt wurde gerade ein bärtiger Typ, der wie am Spieß brüllte, in die Notfallambulanz eingeliefert. Offenbar hatte er sich einen Nagel durch den Handrücken gestoßen. Mir war die Ablenkung nur recht, denn alle starrten auf ihn, und keiner auf mich und ich schaffte es ungesehen bis in das obere Stockwerk, wo Esther lag.

Meine Pumpe ging viel zu schnell und ich befahl mir selbst, mich verdammt nochmal am Riemen zu reißen. Ich war so oft hier gewesen, als sie im Koma gelegen hatte, da konnte ich doch auch mal kommen, wenn sie wach war, ohne gleich auszuflippen.

Die Tür zu ihrem Zimmer stand offen und ich wollte glauben, dass das ein Zeichen war. Es war richtig gewesen, herzukommen und meinen bekackten Dämonen den Mittelfinger entgegenzustrecken. Als ich ihre Tür erreichte, fiel mir auf, dass ich ihr gar nichts mitgebracht hatte. Keine Blumen, keinen neuen Song, nichts. Trotzdem stand ein riesiger, frischer Blumenstrauß an ihrem Fenster. Und erst da sah ich den fremden Typen an ihrem Bett sitzen. Seine Hände hielten ihre in seiner und ich stand einfach nur da und hörte zu, wie der Scheißkerl zu ihr sagte: „Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen, Baby.“

11 thoughts on “Eric – siebenunddreißig

  1. Neiiiin, ich werde wahnsinnig! Ich bin so froh, dass ich weiß, dass alles ein gutes Ende nehmen wird (in dieser oder der anderen Welt?)!
    Ladies, großartig! Bin und bleibe ein großer Fan eures Schreibstils!
    LG
    Jess

  2. Oh nein…
    Ich hatte schon am Dienstag das Gefühl, der ominöse Mann könnte Tim sein, aber ich dachte mir, ihr seid so nett zu uns und macht das nicht… Oh je… Ich glaube, ich habe noch nie so auf einen Dienstag wie ich es jetzt tue :/ 🙂

  3. Scheisse macht ihr es spannend. Entschuldigt bitte den Ausdruck. Jetzt muss ich wieder bis Dienstag warten. Ich liebe die beiden. Und der 8. Teil ist auch schon aus gelesen. ?

  4. Ja, wir hatten schon vermutet, dass ihr mit Tim nicht so happy sein werdet ;))
    Und so „schlimm“ es sich auch für euch anfühlen mag, auf Dienstag zu warten, so schön ist es für uns, dass ihr so dermaßen mitfiebert!! Da macht es echt total viel Freude, diesen Blogroman zu schreiben :)))

    Ihr Lieben, wir wünschen euch ein schönes Wochenende und seid gewiss:
    der nächste Dienstag wird kommen. Und auch der Freitag :))
    Alles Liebe, Carmen & Ulli

  5. Nein nein nein das kann doch nicht wahr sein.. ist der Arsch vor Eric bei Esther. Ihr macht es verflixt spannend. Ich freue mich auf Dienstag. Schönes Wochenende

  6. Hi ihr Lieben, ich finde euren Blogroman richtig super. Vielen lieben Dank für die schönen Dienstage und Freitage :).

    PS.: Mit dieser Geschichte hättet Ihr auch locker ein Buch füllen können. Aber so wie es jetzt läuft bin ich auch zufrieden :D.

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