Eric – 81

Eric – 81

Als ich Esther sah, vergaß ich den ganzen Scheiß um mich herum. Ich hatte nur noch Augen für sie, wie sie da stand in ihrem engen schwarzen Kleid und keiner Ahnung, wie umwerfend sie aussah. Ihre blonden Haare fielen ihr weich über die Schultern und in ihrem Gesicht konnte ich die Aufregung ablesen, den so ein Abend mit sich brachte.

Schließlich war diese Premiere auch für sie eine Premiere. Ich konnte nicht anders, als zu ihr zu gehen, meine Lippen mussten zu ihren, und eigentlich wollte ich ihr noch viel näher sein, hier auf der Treppe oder sonstwo, aber dann räusperte sich ihre Freundin und der Abend musste beginnen. Ich stellte Simon den beiden vor und die Erleichterung, die ich in seinem Gesicht sah, als er auf Flo und nicht auf Quasimodo traf, brachte mich fast zum Lachen. Dann gab er noch kurz mit seinem beschissenen Oldtimer an, was die Mädchen doch irgendwie zu beeindrucken schien, vor allem Flo. Und danach machten wir uns auf den Weg und Esther und ich setzten uns auf die Rückbank. Ich nahm ihre Hand und sie legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab und ich wünschte, wir könnten einfach nur zu zweit sein.

Simon quatschte mit Flo, die wegen dieser bescheuerten Filmpremiere völlig durchdrehte. Sie war wie eine dieser Groupies, die man am Abend in die Suite mitnahm, um sie am nächsten Tag gleich wieder zu vergessen. Sie konnte sich dem Glanz dieser beschissen schillernden Welt einfach nicht entziehen, sie wurde von ihm angezogen wie eine Motte vom Licht.

Nur Esther war anders. Sie wirkte nervös und hatte anscheinend auch keinen Bock, sich im Blitzlichtgewitter zu sonnen. Früher oder später würden wir dem jedoch nicht entgehen können, wir konnten meinem Leben nicht entgehen, auch wenn ich es oft genug wollte.

Aber die Musik war mein Leben.

Sie hatte mich gerettet, sie hatte dafür gesorgt, dass ich nicht irgendwo in der Gosse landete, zumindest nicht in einer stinkenden, sondern einer goldenen. Einer mit Drogen und Kohle, und jeder Menge Mädels.

Ich war damals einfach von zu Hause abgehauen, genau zu dem Zeitpunkt, als er mich nicht mehr zurückholen konnte. Als ich stark genug war, um mich zu wehren, als ich stärker war als er und er zu dem Haufen Elend zurückschrumpfte, der er in Wahrheit immer schon gewesen war.

Ich hatte es nicht geplant, aber irgendwann kam all die Wut aus mir heraus, sie brach durch mich hindurch, und ich war nicht mehr bereit, mich schubsen und demütigen zu lassen, ich war nicht mehr bereit, Prügel zu kassieren, weil ich einfach nur atmete und damit zu laut für ihn war.

Und dann war ich draußen, in einer Welt, die nicht auf mich gewartet hatte. Ich hatte keine Kohle, es gab kein Zurück und ich fühlte mich vollkommen allein.

Nur Chris war da, so gut er konnte. Er half mir mit dem Nötigsten aus und ich zog von Stadt zu Stadt und begann, Musik zu machen. Durch die Musik hatte ich überlebt.

Ich hatte nie die Lieder von anderen gespielt, ich hatte immer meine eigenen Songs gemacht, und auch wenn ich damals kaum was zum Essen hatte und oft irgendwo draußen schlief, so war es allemal besser, als bei dem Typen zu bleiben.

Und irgendwann gab es dann diese Begegnung. Diese eine Begegnung, der Lottosechser, auf den alle warten. Ein unscheinbarer Typ, der sich deine Musik reinzieht und dabei keine Miene verzieht. Der aber bleibt, und dir dann eine Visitenkarte zusteckt und im ersten Moment glaubst du noch, dass er dich verarscht und das Label auf der Karte doch verdammt nochmal gefälscht sein muss.

Denn wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass du, ausgerechnet du, auf den die Welt nicht gewartet hat, der du in deinem Zimmer immer herumgeklimpert und dir alles selbst beigebracht hast, erkannt wirst? Dass du Songs schreibst, die tiefer gehen, die berühren und deine Stimme eine neue sein soll. Eine Stimme, die noch nicht dagewesen ist und mit den richtigen Leuten etwas verändern kann.

Ich drückte Esthers Hand und dachte daran, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass man diesen verdammten Lottosechser zwei Mal erwischt. Sie lächelte mich an und Flo und Simon quasselten vor uns, aber der ganze Scheiß interessiert mich nicht.

Und als der Wagen hielt und ich wieder mal nichts sah, weil die ganzen Fotografen nichts Besseres zu tun hatten, als schon Simons beschissenen Oldtimer abzuknipsen, drückte ich Esthers Hand, die sich viel zu gut in meiner anfühlte.

Ich sah ihr tief in ihre wunderschönen braunen Rehaugen. „Bereit?“, fragte ich und wusste es selbst nicht.

3 thoughts on “Eric – 81

  1. Oh,ja man kann es sich richtig vorstellen,nun wird er sich all seinen Fans stellen ,um sich mit dem wichtigsten Menschen in seinem Lebens zu zeigen ,seiner Freundin Esther.Wie wird das fuer beide werden?

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