Eric – vierundzwanzig

Eric – vierundzwanzig

Ich stieg aus dem Wagen und sah auf die Uhr. Natürlich war ich wieder zu spät. Mein Schädel dröhnte und mein Mund schmeckte nach alten Kippen und zu viel Alkohol. Es war eine scheiß Nacht gewesen, es war ein scheiß Gig gewesen, und es war eine scheiß Idee gewesen, die beiden Groupies noch reinzulassen. Keine Ahnung, was die dabeigehabt hatten, aber es hatte mich echt weggeknallt.

Mit fahrigen Bewegungen ging ich auf den Coffeeshop neben der Bushaltestelle zu und verzog das Gesicht bei der Erinnerung an die Schwarzhaarige mit dem Arschgeweih, die das ganze Bad vollgereihert hatte.

Scheiß Idee, ja wirklich.

„Fuck“, murrte ich, als ich mit dem Schuh auch noch in Hundekacke trat, als wäre das irgend so ein verdammtes Gesetz, dass jeder Tag, der beschissen begonnen hatte, von Minute zu Minute noch beschissener werden musste.

Erik wartete schon eine halbe Stunde auf mich, aber scheiß drauf, zuerst brauchte ich einen Kaffee. Immerhin bezahlte ich den Idioten dafür, dass er wartete.

Die Tussi vor mir in der Schlange brauchte ewig und ich atmete genervt durch die Nase aus, während ich innerlich die Sekunden zählte. Müde fuhr ich mir mit den Fingern unter die dunkle Sonnenbrille und steckte sie dann in meine Jackentasche. Meine Augen taten weh, mein Kopf tat weh, alles tat weh, und wenn sie sich nicht bald entschied, ob sie ihren Caffè Latte lieber mit Kuh- oder mit Sojamilch haben wollte, dann würde ich ihr einen Hunderter dafür geben, dass sie jetzt einfach nur verschwand und sich nie wieder blicken ließ.

Endlich. Endlich schob sie ihren dürren Hintern zur Seite und ich trat mit gesenktem Kopf an den Tresen.

„Einen doppelten Espresso. Kein Zucker“, schnappte ich und kramte in meinen Jeans nach Kleingeld. Mein Handy vibrierte in der hinteren Hosentasche, aber ich ging nicht ran. War sicher Erik, der wissen wollte, wo ich steckte.

„Das macht 3,40“, sagte die Coffeeshop-Verkäuferin in diesem Moment und ich erstarrte mitten in der Bewegung. Es war, als hätte man mir einen elektrischen Schlag verpasst.

Wow, diese Stimme. Automatisch hob ich den Kopf und sah sie an. Sie hatte sanfte braune Augen und dunkelblonde Haare, die ihr glatt auf die Schultern fielen. Eigentlich war sie überhaupt nicht mein Typ und trotzdem pochte meine Pumpe wie verrückt.

„Haben wir …“ Ich räusperte mich. „Haben wir uns schon mal irgendwo gesehen?“ Mir war klar, dass es sich dabei um den abgefucktesten Anmachspruch aller Zeiten handelte, aber verdammt, ich hatte echt das Gefühl, sie zu kennen.

„Sicher nicht“, antwortete sie und nahm die Münzen entgegen, die ich in der Hand hielt. Dabei berührten sich unsere Finger und ich sah, wie ihr eine leichte Röte in die Wangen schoss.

„Wollen wir das ändern … Ich meine, ich würde das gern ändern“, sagte ich und grinste sie an. Auf mein Lächeln war normalerweise Verlass und ich versuchte zu ignorieren, dass sich meine Stimme viel zu nervös für mich anhörte.

Sie blickte mir für einen Moment direkt in die Augen und ich hatte das Gefühl, nie wieder wegsehen zu können. In dem Moment warf sie einen raschen Blick zur Seite und ich bemerkte zum ersten Mal den Typen in der grünen Schürze, der zu uns rüberglotzte, während er die Kaffeemaschine bediente.

„Sag jetzt bloß nicht, das ist dein Freund“, kam es aus mir raus, und meine Stimme war nicht viel mehr als ein Knurren.

Erschrocken sah sie mich an. „Nein, ich -“, sie holte tief Luft, „tut mir leid, ich muss jetzt wirklich weiterarbeiten.“ Sie wollte sich dem Kunden hinter mir zuwenden, aber ich rührte mich nicht von der Stelle.

„Wie heißt du?“, fragte ich.

„Esther“, antwortete sie leise und ich konnte nur daran denken, dass ihr Name einen tollen Songtitel abgäbe.

„Ihr Espresso ist fertig“, sagte der Typ in der grünen Schürze und stellte mir den Kaffee unsanft auf den Tresen.

„Ich nehme gleich noch einen“, gab ich zurück und überhörte das tiefe Seufzen hinter mir.

„Noch einen Espresso?“, fragte der Schürzenträger genervt.

Ich schüttelte den Kopf. „Mach lieber zwei Chai Latte draus. Extra groß, extra Milch, extra Milchschaum, extra Zucker und extra Zimt.“ Das würde ihn hoffentlich für ne Weile beschäftigen.

Der Schürzentyp funkelte mich an. Als er sich schließlich zur Kaffeemaschine umdrehte, sah ich, dass Esther sich ein Lachen verbeißen musste.

Ich nahm eine Serviette, beugte mich über den Tresen und schob sie ihr hin. „Schreib mir deine Nummer auf.“

Ich hatte das schon oft gemacht, aber Mann, mein Herz hatte dabei noch nie so verrückt gespielt.

Sie sah mich wieder an und ich hätte in ihren braunen Augen versinken können.

„Und bis ich es mache, bestellst du die ganze Karte rauf und runter?“, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.

Ich grinste sie an.

11 thoughts on “Eric – vierundzwanzig

  1. YES, na geht doch :)))))))) OMG wie schööön. Ich freu mich total das sie sich endlich getroffen haben. Dafür das Eric sonst nicht der netteste ist beschreibt er seine ersten Gefühle Esther gegenüber richtig süß.

  2. ich kann mich meinen Vorredner nur anschließen. Mir gefällt es auch sehr, welche Gefühle der sonst doch so coole Eric auf einmal hat. Wo bei es in einigen Kapiteln schon heraus zu lesen war, dass er ein sehr sensibler Mensch ist. Der nur viel Negatives in seinem bisher kurzen Leben erfahren hat. Das versucht er ja nur durch seine coole Art zu überspielen. Das mit dem Alkohol und den Drogen gefällt mir persönlich mal gar nicht. Da es mir sehr an meine Arbeit im realen Leben erinnert.
    Freue mich darauf wie es mit den Beiden weitergeht.

  3. Liebe Carmencitha, vielen Dank für Dein Feedback … hinter Erics Fassade steckt tatsächlich mehr, als man meinen mag, und die Vergangenheit ist einfach prägend. Wir fanden es schön, hier einfach hinter seine Mauern zu blicken 🙂 – nur noch 1 x schlafen, dann geht es schon weiter!!
    Viele Grüße, Carmen & Ulli

  4. Ich habe gerade alle bisherigen folgen gelesen und ich bin voll aus dem Häuschen sie haben sich endlich getroffen.
    Vielen dank an euch beide, noch kein Buch/Blogroman gelesendas mich so berührt und begeistert hat.

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