Esther – 145

Esther – 145

„Danke, dass Sie sich mit mir treffen.“ Erics Mutter nippte nervös an ihrem Kaffee, bevor sie sich scheu in dem kleinen Café umsah. Es befand sich in Fußlaufnähe zur Uni, was es zu einem beliebten Treffpunkt für Studenten machte. Das zeigte sich auch in dem Laden: Die bunten Wände waren mit aktuellen Veranstaltungspostern beklebt und aus den Lautsprechern klang chillige Musik, die leise genug war, dass man sich sowohl unterhalten, als auch lernen konnte.

Ich griff nach meiner Teetasse und nickte zögernd. Ein Teil von mir hätte gern gesagt, dass das Treffen kein Problem wäre, aber ein anderer Teil wusste genau, dass das eine Lüge war. Es war ein Problem, hinter Erics Rücken seine Mutter zu sehen, es war vermutlich sogar ein gewaltiges Problem. Allerdings hatte ich es nicht übers Herz gebracht, sie einfach abzuweisen. Nicht, nachdem sie auf offener Straße vor mir in Tränen ausgebrochen war.

„Sie wollten über Zoe sprechen“, versuchte ich die Begegnung dennoch so kurz wie möglich zu halten. Dabei fing ich den aufmerksamen Blick von Jackson auf, der sich wie immer diskret zurückgezogen hatte. Von seinem Platz aus hatte er einen perfekten Blick auf die geschützte Nische, in der Erics Mutter und ich in bequemen Ohrensesseln saßen. Allerdings sah man ihr den gemütlichen Stuhl nicht an. Sie hielt ihren Rücken so gerade, dass sie genauso gut auf einer harten Anklagebank aus Holz hätte sitzen können – und wer weiß, vielleicht fühlte sie sich ja auch so.

„Ja.“ Sie atmete tief ein. „Zoe hat den Kontakt mit mir auf ein absolutes Minimum beschränkt. Sie sagte, sie würde sich bei Eric … wohler fühlen und dass sie von jetzt an lieber bei ihm leben möchte.“

Erneut nickte ich. Das war nichts Neues und kam für mich auch nicht überraschend. Laut Zoes Erzählungen ließ ihr Stiefvater, den sie all die Jahre über für ihren leiblichen Vater gehalten hatte, sie sehr stark spüren, dass er sie nun mit anderen Augen sah. Weil sie nicht mehr sein Kind war. Obwohl sie das natürlich doch war, selbst wenn sie nicht dieselben Gene teilten.

„Ich habe vor vielen Jahren einen Fehler begangen, den ich nie wieder gutmachen kann“, sagte Erics Mutter gedämpft. Plötzlich fiel mir auf, dass ich nicht mal ihren Vornamen kannte. Was irgendwie schrecklich war, wenn man bedachte, dass ich hier vor der Großmutter meines Kindes saß.

Seufzend schüttelte ich den Kopf. „Wieso sind Sie hier? Was genau wollen Sie von mir?“

Sie starrte einen Moment lang auf ihre Tasse, bevor sie sich einen Ruck gab. „Ich möchte den Fehler, den ich bei Eric begangen habe, nicht auch bei Zoe wiederholen.“ Ihre Stimme war so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. „Ich war egoistisch, selbstsüchtig und dumm“, fuhr sie fort. „Jahrelang habe ich mir selbst gesagt, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Dass ich durch meine Flucht wenigstens ein Kind hatte retten können. Und dass er mich zu Tode geprügelt hätte, wenn ich geblieben wäre – und er herausgefunden hätte, dass es noch einen anderen Mann gab.“

Abwehrend schüttelte ich den Kopf. „Das ist kein Thema, über das wir miteinander sprechen sollten.“

„Natürlich nicht, Sie haben recht.“ Erics Mutter berührte unsicher ihre hochgesteckten hellen Haare, die von einigen grauen Strähnen durchzogen waren. „Ich habe das auch nicht gesagt, um mein Verhalten zu rechtfertigen. Es war unverzeihlich, Eric zurückzulassen und ich hasse mich dafür. Jeden einzelnen Tag meines Lebens.“

Eine bedrückende Pause entstand.

„Wieso sind Sie hier?“, versuchte ich es schließlich noch einmal. „Was genau wollen Sie von mir?“

„Ich möchte sichergehen, dass es Zoe gut geht.“ Sie blickte mich mit schimmernden Augen an. „Zoe mag Sie sehr, Esther. Ich weiß, dass Sie immer gut zu ihr waren. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Sie bereit dazu sind, Ihr Leben mit Eric und einem bockigen Teenager zu teilen. Ob Sie bereit dazu sind, gemeinsam mit ihr unter einem Dach zu leben.“ Sie machte eine kurze Pause. „Schließlich gründen Sie und Eric nun selbst eine Familie.“

Ihre Worte machten mir bewusst, wie seltsam es eigentlich war, dass Eric noch immer im Hotel wohnte, während ich an meiner winzigen Wohnung festhielt.

„Esther? Ist alles in Ordnung?“

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