Eric war ungewöhnlich still während der Fahrt und ich fragte mich, ob ich zu weit gegangen war. Wir hatten nie über Religion gesprochen, eigentlich hatten wir über so vieles noch nicht gesprochen, auch nicht darüber, was das hier zwischen uns eigentlich war. War es eine Beziehung? Eine Affäre?
Es fühlte sich nach mehr an und ich erinnerte mich an diesen Moment in meinem Vorzimmer, als er mir gesagt hatte, dass er mich liebte. Alles, was ich darauf geantwortet hatte, war ein plumpes „Okay“ gewesen und ich wusste, dass einem ungeschriebenen Gesetz zufolge der Ball nun bei mir lag. Aber irgendwie hatte sich bisher noch nicht der richtige Zeitpunkt ergeben. Oder vielleicht war ich auch einfach nur ein verdammter Feigling.
„Halleluja. Wir sind da“, knurrte Eric in dem Moment und hielt seinen Wagen vor einer weißen Kirche mit einem schlichten Holzkreuz auf dem Glockenturm.
Die Sonne stand schon tief und tauchte das Kirchengebäude in ein goldenes Licht. Ich stieg aus dem Porsche und betrachtete für einen Moment die hübschen Buntglasfenster, bevor ich zu Eric ging. Der weiße Kies knirschte unter meinen Turnschuhen und ich streckte ihm die Hand hin, die er nach kurzem Zögern ergriff. Sein Gesicht zeigte eine Vielzahl unterschiedlicher Empfindungen: Widerwille, Verschlossenheit, Skepsis – und noch etwas, das ich nicht deuten konnte. Einmal mehr überkam mich das Gefühl, dass es eine blöde Idee gewesen war, ihn dazu zu bringen, mit mir hierherzufahren, aber ich war mir nicht sicher, ob ein Rückzieher der Sache nicht noch mehr Gewicht geben würde.
„Was verbindest du mit Kirchen?“, fragte ich nun und strich mit dem Daumen über seinen Handrücken.
„Verschwendete Hoffnungen“, gab er nach einem Moment des Schweigens zurück und setzte sich in Bewegung. Es fühlte sich an, als ob er es einfach nur schnell hinter sich bringen wollte, und ich folgte ihm zu dem großen, schweren Eingangstor. Eric drückte es auf und einen Augenblick später standen wir in der kühlen Stille des Mittelschiffs. Wir waren die einzigen Besucher und ich atmete den vertrauten Geruch nach Stein und Weihrauch ein, der mich in meine Jugend zurückversetzte, als die Kirche noch ein Bestandteil meines Lebens gewesen war. Inzwischen ging ich nur noch einmal im Jahr zur Christmette, weil es eine weihnachtliche Tradition meiner Eltern war, nicht aber, weil es mir so viel bedeutete.
Eric stand still neben mir und blickte unbewegt hinüber zum Altar, über dem der gekreuzigte Jesus hing. Das Schweigen zwischen uns war voller unausgesprochener Worte, und ich hätte gern gewusst, was in ihm vorging, aber ich hatte Angst, ihn zu bedrängen.
„Wir können auch wieder gehen, wenn du willst.“
Er atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Dann machte er ein paar Schritte und setzte sich in eine der hinteren Bänke, ohne meine Hand loszulassen. Ich ließ mich neben ihm auf das harte Holz sinken und gab dem Impuls nach, meinen Kopf auf seine Schulter zu legen. Erics vertrauter Duft stieg mir in die Nase und ich seufzte leise.
„Woran denkst du?“, hörte ich seine raue Stimme kurz darauf.
„Daran, dass ich glücklich bin“, erwiderte ich. „Und sehr dankbar.“ Ich hob den Kopf und sah ihn an. „Und woran denkst du?“
„An früher.“ Er stockte. „Es ist lange her, dass ich in einer Kirche war.“
„Glaubst du an Gott?“
Er zuckte mit den Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Keine Ahnung. Du?“
„Früher hab ich manchmal an ihn geglaubt“, antwortete ich. „Und dann wieder nicht.“
„Und wie ist es jetzt?“
Ich schlug die Augen nieder. „Nachdem mich das Auto … nachdem es mich angefahren hatte, hab ich mich selbst da liegen gesehen.“ Mein Blick huschte kurz hinüber zu Eric, der mich gebannt ansah. „Ich habe auch dich gesehen“, flüsterte ich. „Und obwohl ich eigentlich Angst hätte haben müssen, war es … war es ein friedliches Gefühl. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber seitdem glaube ich zumindest, dass wir nicht einfach verschwinden, wenn wir sterben.“
Er blickte wieder auf die Darstellung von Jesus, der mit geschlossenen Augen am Kreuz hing. „Schade“, murmelte er dann.
Schade?