Esther – 64

Esther – 64

Das Blut rauschte in meinen Ohren, als ich über den Campus rannte. Ich wollte nur weg, einfach nach Hause, wollte so viel Abstand wie möglich zwischen mich und dieses Arschloch bringen, dessen Berührungen ich noch immer am ganzen Körper spüren konnte. Hastig ließ ich das Unigelände hinter mir und wäre fast in einen Fahrradfahrer hineingerannt, der mit einem Affenzahn die Straße entlang bretterte.

Erschrocken prallte ich zurück und blieb mit klopfendem Herzen auf dem Bürgersteig stehen. Mein Körper hatte so viel Adrenalin ausgeschüttet, dass meine Hände zitterten und ich fühlte eine wüste Mischung aus Wut, Ohnmacht, Ungläubigkeit und Scham. Mein Gehirn hatte noch immer nicht richtig verarbeitet, was gerade passiert war und obwohl ich es selbst erlebt hatte, konnte ich es fast nicht glauben.

Ich hatte Mr. Norris immer für einen anständigen und netten Mann sowie einen großartigen Dozenten gehalten. Ich hatte ihm vertraut. Was war ich nur dumm gewesen.

Mit Tränen in den Augen entsperrte ich mein Handy und ließ meine Finger über die Anrufliste gleiten. Es gab nur einen Menschen, den ich in diesem Moment anrufen wollte, aber der war gerade in Vegas und bereitete sich auf einen großen Auftritt morgen vor. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte mir auszumalen, wie Eric reagieren würde, wenn er erfuhr, was gerade passiert war. Kurzentschlossen schüttelte ich den Kopf und scrollte weiter. Dann drückte ich die Anruftaste.

 

„Esther?“, drang Flos besorgte Stimme durch das Holz, gefolgt von ihrem energischen Klopfen. Müde kämpfte ich mich vom Sofa hoch und ging zu meiner Tür. Ohne darüber nachzudenken hatte ich sofort, nachdem ich nach Hause gekommen war, alle Riegel vorgeschoben, die ich nur hatte – und es dauerte ein paar Augenblicke, bis ich wieder aufgeschlossen und die Sicherheitskette geöffnet hatte. Dann machte ich die Tür auf und spürte im nächsten Moment Flos Umarmung.

„Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte“, murmelte sie und drückte mich an sich. Von ihr gehalten zu werden, ließ die verdammten Tränen wieder kommen und ich schniefte leise, während ich in meiner Jeans nach einem Taschentuch kramte.

Sie ließ mich los und schloss die Tür hinter sich.

„Also“, sagte sie dann. „Erzähl mir jetzt ganz genau, was das Schwein gemacht hat.“

Ich putzte mir die Nase und ging ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch fallen ließ. Dabei kam ich mir schon wieder so unglaublich dumm vor, ihm vertraut zu haben, obwohl mein rationales Ich wusste, dass ich nichts falsch gemacht hatte.

„Es war so absurd“, begann ich mit stockender Stimme zu reden. „Ich war bei ihm im Büro und es war irgendwie … seltsam. Er hat mich die ganze Zeit auf so eine Art angesehen, dass ich mich extrem unwohl gefühlt habe.“

Flo nickte und strich mir sanft über den Rücken, während sich ihre Züge verhärteten.

„Und dann wollte ich gehen und er hat … die Tür abgeschlossen“, sprach ich weiter, „und mir mein Handy weggenommen.“

„Ich glaub’s nicht“, knurrte sie und streichelte noch ein bisschen schneller.

„In dem Moment hatte ich echt Angst“, flüsterte ich. „Ich bin zur Tür hin und plötzlich war er hinter mir und hat seine … seine Erektion an mir gerieben und ich wollte schreien, aber meine Kehle war wie zugeschnürt und er“, ich holte zitternd Luft, „er hat nur gelacht. Dieses Arschloch hat gelacht.“

„Du musst zur Polizei gehen“, sagte Flo ernst und sah mir direkt in die Augen.

Ich nickte, obwohl ich mich einfach nur unter meiner Decke einrollen und die nächsten paar Tage dort verkriechen wollte. „Ich weiß“, antwortete ich leise. „Aber was, wenn sie mir nicht glauben?“

„So darfst du nicht denken“, sagte Flo streng und stand auf. Ich sah, wie sie wütend im Zimmer auf und ab tigerte und ihre braunen Augen blitzten. Newton kam gerade aus der Küche und sprang mir rasch auf den Schoß, als sie an ihm vorbeistampfte.

„Ich hätte ihm das echt nicht zugetraut“, stieß sie hervor.

„Ich auch nicht“, murmelte ich tonlos und strich mechanisch über Newtons schwarzes Fell, woraufhin er laut zu schnurren anfing. „Er wirkte immer so … nett.“ Ich schluckte trocken und versuchte mir auszumalen, wie das bei der Polizei aussehen würde, wenn ich Mr. Norris anzeigte – ohne jeden Beweis und nur mit meinem Wort gegen seines.

„Hey“, sagte Flo und kam wieder zu mir. „Keine Sorge, Esther. Wir kriegen das hin. Der Arsch wird das bekommen, was er verdient.“

Ich nickte, obwohl ich mir da nicht so sicher war. Meine Stirn war ganz heiß und ich fühlte mich, als hätte ich Fieber.

„Hast du schon Eric angerufen?“, wollte sie jetzt wissen und ich schüttelte den Kopf.

„Er hat morgen einen Gig“, murmelte ich dann. „Ich will nicht, dass er wegen dieser Sache vielleicht vorzeitig zurückkommt.“

Sie runzelte die Stirn. „Bist du sicher?“

Ich nickte entschlossen und sah sie an. „Ich erzähl es ihm, wenn er zurück ist.“ An ihrem Gesichtsausdruck konnte ich sehen, dass sie damit nicht einverstanden war, deshalb sprach ich schnell weiter. „Bitte, Flo – halt dich da raus. Ich mach das auf meine Weise.“

6 thoughts on “Esther – 64

  1. O je, das klingt gar nicht gut ,dieser großartige Dozent braucht gewaltig was auf die…. naja Finger.Ich nehmen an die Freundin bekommt eine hohe Handyrechnung.

  2. Puh… Und schon wieder Frage ich mich ob das jetzt gut geht. Ich hoffe das der Freitag schnell kommt sodass ich wieder weiterlesen kann denn, ich kanns echt nicht abwarten zu lesen was jetzt mit dem Dozenten passiert .

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